Die Reisen Des Paulus
»O du Kind des Teufels, voll aller List und aller Bos-heit, Feind aller Gerechtigkeit, hörst du nicht auf, krumm zu machen die geraden Wege des Herrn? Und nun siehe, die Hand des Herrn kommt über dich, und sollst blind sein und die Sonne eine Zeitlang nicht sehen!« »Und von Stund an fiel auf ihn Dunkelheit und Finsternis, und er ging umher und suchte jemand, der ihn bei der Hand leite.« Bei diesem Kampf zweier Willenskräfte hatte Paulus seine völlige Überlegenheit bewiesen. Sergius Paulus war sprachlos. Die Rede des Juden hatte ihn schon tief beeindruckt, aber nun, nach einer solchen außerordentlichen Demonstration von Kraft, glaubte er. Wer sich jedoch nicht mit der Erklärung zufriedengeben will, es habe sich eben um ein Wunder gehandelt, muß sofort fragen – was geschah denn nun wirklich? Es ist äußerst wahrscheinlich, daß Bar-Jesus als orientalischer Magier tatsächlich auch an magische Kräfte glaubte
– an die seinen und an die anderer Menschen. Überwältigt von der Dynamik von Paulus’ Persönlichkeit, zerbrochen, ins Innerste getroffen von den durchdringenden Augen, die mit der Gewalt eines Blitzstrahls die Leidenschaft des Glaubens übertrugen, war er vollständig davon überzeugt, daß die Worte seines Widersachers in Erfüllung gegangen waren. Möglicherweise schloß auch er sich später dem neuen Glauben an – denn von wem sollte der Chronist sonst Auskunft darüber erhalten haben, was Bar-Jesus empfand, als er mit Blindheit geschlagen wurde? Die Begebenheit ist nicht so ungewöhnlich, wie es einem Städtebewohner des 20. Jahrhunderts scheinen mag. Von Anthropologen, Eth-nologen und anderen Wissenschaftlern, die in abgelegenen Weltteilen, etwa in Neuguinea, arbeiteten, haben wir zahl-178
reiche Beweise für regelrechte Wettkämpfe zwischen »Me-dizinmännern« oder wie immer man solche Wunderheiler oder Gesundbeter nennen will, die der Auseinandersetzung zwischen Bar-Jesus und Paulus gar nicht einmal unähnlich sind. Bar-Jesus tritt von der Szene ab, ebenso der Prokonsul Sergius Paulus. Nichtsdestoweniger betrachtete man diesen Vorfall als äußerst bedeutsam, was daraus erhellt, daß der Verfasser der Apostelgeschichte ihn uns so detailliert und lebendig überliefert hat. Und es gibt noch einen springen-den Punkt. Bis dahin ist in der Apostelgeschichte immer von Saul die Rede. Von nun an wird er Paulus genannt. Der Grund dafür ist ohne große Mühe zu finden. Sir William Ramsay formulierte es vor einigen Jahren folgendermaßen:
»Er hatte strikt jüdische Jahre hinter sich, war erfüllt vom Gedankengut einer Religion, die Juden hervorgebracht hatten und die in seiner Vorstellung die vollkommenste Form der jüdischen Religion war – kann er da geantwortet haben (der Prokonsul stellte ihm wohl die Standardfragen der damaligen Zeit: ›Wie heißest du? Und woher kommst du?‹):
›Ich heiße Saul und bin ein Jude aus Tarsus‹? Betrachten wir erst einmal, was er selbst über die Methoden sagt, mit denen er Menschen ansprach (1. Kor. 1, 20f.): ›Den Juden bin ich geworden wie ein Jude, auf daß ich die Juden gewinne. Denen, die unter dem Gesetz sind, bin ich geworden wie einer unter dem Gesetz – wiewohl ich selbst nicht unter dem Gesetz bin –, auf daß ich die, so unter dem Gesetz sind, gewinne … Ich bin allen alles geworden … Alles aber tue ich um des Evangeliums willen …‹ Wir können nicht daran zweifeln, daß der Mann, der so an die Korinther schrieb, auf die Fragen des Sergius Paulus antwortete, er sei ein aus Tarsus 179
gebürtiger Römer namens Paulus. Mit einem Meisterstreich historischer Knappheit scheidet der Verfasser (der Apostelgeschichte) Vergangenheit und Gegenwart voneinander: ›Saulus aber, der auch Paulus heißt, … sah ihn an und sprach …‹« Bemerkenswerterweise wird Paulus, der bis dahin in der christlichen Hierarchie immer unter Barnabas gestanden zu haben scheint, nach dieser berühmten Episode fast immer an erster Stelle genannt. Obwohl er nur der drei-zehnte Apostel war und als letzter in den Schoß der Kirche gefunden hatte, reihte er sich nun durch seinen Intellekt, seinen Glauben und seinen Ehrgeiz unter die Ersten ein. Jakobus, der Bruder Jesu, stand nach wie vor an der Spitze der Jerusalemer Kirche, doch jetzt war völlig klar, daß in allen Ländern, die außerhalb von diesem vergleichsweise kleinen Bereich lagen, niemand anders als Paulus die beherrschende Gestalt sein würde.
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