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Die Rekonstruktion des Menschen

Die Rekonstruktion des Menschen

Titel: Die Rekonstruktion des Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Simon (Hrsg)
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Trockenheit hier.
Na so was, sogar philosophieren kann ich…
»Hier ist er, dein Pfad«, sagte Nawa ärgerlich. »Bitte sehr,
nun geh.«
Sie ist wütend, dachte Candide. Ich hab’ sie nicht baden lassen und schweige die ganze Zeit, ringsum aber ist es trocken
und unbehaglich… Macht nichts, soll ihre Wut ruhig noch eine
Weile anhalten. Solange sie wütend ist, hält sie den Mund, das
ist auch was wert. Wer wohl den Pfad hier benutzt? Ob er
tatsächlich so häufig benutzt wird, daß er nicht mehr zuwächst?
Trotz allem seltsam, so als wär’ der Pfad nicht vom Gehen
entstanden, sondern künstlich angelegt.
Anfangs führte der Weg durch trockenes Gelände, doch bald
darauf fiel er steil ab und verlief sich in seichtem schwarzem
Morast. Der klare Wald war zu Ende, wieder erstreckten sich
ringsum Sümpfe und Moosgeflecht, es wurde feucht und
schwül. Nawa lebte augenblicklich auf. Hier fühlte sie sich entschieden besser. Sie schwatzte nun unaufhaltsam drauflos, und schon bald hatte sich in Candides Kopf das gewohnte Tönen eingenistet; er bewegte sich wie im Halbschlaf. Vergessen war alle Philosophie, vergessen war fast, wohin er ging, er gab sich allen möglichen zusammenhanglosen Gedanken hin,
ja nicht einmal Gedanken, eher Visionen:
Hinkebein, wie er die Hauptstraße entlanghumpelt und allen
Passanten erzählt (wenn’s keine Passanten gibt, murmelt er
einfach vor sich hin), daß der Schweiger also fortgegangen ist
und Nawa mitgenommen hat, wohl in die Stadt, dabei gibt’s
doch die Stadt gar nicht. Vielleicht aber auch nicht in die Stadt,
sondern ins Dickicht, dort lassen sich die Fische so gut locken,
man steckt die Finger ins Wasser – und schwupp, schon kommen sie an. Aber wozu braucht der Dummkopf von Schweiger,
bei Licht besehen, Fisch, er ißt doch gar keinen, nun ja, vielleicht braucht er welchen für Nawa, Nawa ißt gern Fisch, also
wird er sie damit herausfüttern wollen… Aber weshalb hat er
sich dann die ganze Zeit nach der Stadt erkundigt? Nein, nein,
der ist nicht ins Dickicht aufgebrochen, und wie’s aussieht,
wird er auch nicht so bald zurück sein…
Hinkebein entgegen aber kommt Faust und berichtet allen
Passanten, der Schweiger habe ihn dauernd überreden wollen
aufzubrechen, ein ganzes Jahr lang habe er immer bloß gesagt:
»Übermorgen geht’s in die Stadt.« Als ich dann aber Proviant
zubereitet hab’, so viel, daß meine Alte schon schimpfte, sagt
Faust, da ist er ohne mich und ohne den Proviant losgezogen…
Da, war schon mal einer, beim stinkigen Pelz, der immer loszog, ohne Proviant mitzunehmen; dem haben sie eins übergezogen, daß er nirgends mehr hingeht, weder mit Proviant noch
ohne, daß er bloß noch zu Hause sitzt, so haben sie’s ihm
gegeben…
Und dann steht da Schwanz neben dem Alten, der wieder mal
bei ihm zu Hause frühstückt, und redet auf ihn ein: »Du bist ja schon wieder am Essen, schlingst in dich ‘rein, was dir nicht gehört. Glaub aber nicht, daß es mir leid tut, ich wundre mich bloß, wie ein einzelner dürrer Greis so viele Töpfe kräftigster Nahrung bewältigt. Iß ruhig«, sagt Schwanz, »aber antworte mir offen: Vielleicht bist du gar nicht der einzige Alte bei uns im Dorf? Seid ihr nicht vielleicht doch zu dritt oder wenigstens zu zweit? Dich anzuschaun ist nämlich direkt schauerlich, du ißt und ißt, schlägst dir die Seiten voll und beginnst dann deine
alte Leier, daß man dies und jenes nicht dürfe…«
Nawa lief neben Candide her, hatte seinen Arm mit beiden
Händen umklammert und erzählte voller Eifer: »Da hat bei uns
im Dorf noch ein Mann gewohnt, den nannten sie den Gekränkten, du wirst dich nicht an ihn erinnern, weil du damals
ohne Bewußtsein warst. Dieser Mann war über alles und jedes
gekränkt, und immer fragte er nur: Warum? Warum ist es am
Tage hell, in der Nacht dunkel? Warum sind Käfer zuweilen
trunken, Ameisen dagegen nie? Warum interessieren sich die
Schatten nur für Frauen und nicht für Männer? Die Schatten
haben ihm nacheinander zwei Frauen entführt. Die erste noch
vor meiner Zeit, die zweite, als ich schon bei euch im Dorf
war. Er lief umher und stellte immerzu die Frage, warum sie
nicht ihn, sondern seine Frau entführt hätten… Er trieb sich
absichtlich tage- und nächtelang im Wald herum, damit sie ihn
gleichfalls wegschnappen sollten und er seine Frauen wiederfände, wenigstens eine, aber sie haben ihn natürlich nicht
weggeschnappt, weil die Schatten mit Männern nichts anfangen können, sie brauchen Frauen, das

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