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Die Rekonstruktion des Menschen

Die Rekonstruktion des Menschen

Titel: Die Rekonstruktion des Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Simon (Hrsg)
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ist bei ihnen nun mal so
eingeführt, sie denken gar nicht dran, wegen so einem Gekränkten ihre Gepflogenheiten zu ändern… Dann hat er auch
dauernd gefragt, warum auf den Feldern gearbeitet werden
muß, wo doch der Wald genügend Nahrung hergibt – einfach
Gärmasse drüber, und fertig ist das Essen. Sagt der Dorfälteste
zu ihm: Du brauchst nicht zu arbeiten, wenn du nicht willst, mit Gewalt schleppt dich niemand aufs Feld – er aber immer die gleiche Leier: Warum, warum? – Auch Faust hat er den Nerv getötet. Warum, sagte er, ist das Oberdorf von Pilzen zugewachsen, während unsers nicht zuwächst? Faust hat ihm anfangs geduldig erklärt: Bei denen im Oberdorf hat die Besetzung bereits stattgefunden, bei uns aber noch nicht, so ist das. Worauf er wieder fragte: Und warum findet bei uns die Besetzung nicht statt? Was du nur dauernd mit deiner Besetzung hast, fragt Faust, hast du solche Sehnsucht danach? Doch der Gekränkte hörte nicht auf, er schaffte Faust völlig. Bis der schließlich losbrüllte, daß es im ganzen Dorf zu hören war, bis er mit den Fäusten fuchtelte und zum Dorfältesten lief, um sich zu beklagen. Der Dorfälteste wurde ebenfalls wütend, er trommelte das ganze Dorf zusammen, und dann rannten sie alle hinter dem Gekränkten her, um ihn zu bestrafen. Sie haben ihn aber nicht eingeholt… Nicht mal den Alten hat er in Ruhe gelassen. Zunächst stellte der Alte seine Freßbesuche bei ihm ein, versteckte sich sogar vor ihm, aber schließlich hielt er es nicht mehr aus und sagte: Laß mich endlich in Frieden, ich krieg’ ja deinetwegen keinen Bissen mehr ‘runter. Woher soll ich wissen, warum? In der Stadt werden sie schon wissen, warum. Basta. Da ging der Gekränkte in die Stadt und kam
nicht mehr zurück…«
Langsam glitten rechts und links gelbgrüne Flecken vorüber,
dumpf bliesen die reif gewordenen Tollpilze und verstreuten
fächerförmig rote Sporenfontänen, mit Geheul kam eine verirrte Waldwespe angeflogen und wollte sie ins Auge stechen, so
daß sie an die hundert Schritt laufen mußten, um sie abzuschütteln; geräuschvoll und emsig zimmerten, sich an Lianen festklammernd, verschiedenfarbige Unterwasserspinnen ihre Behausungen. Springbäume kauerten geduckt, zum Satz bereit da,
doch als sie die Anwesenheit der Menschen spürten, verharrten
sie reglos, versuchten den Anschein zu erwecken, ganz gewöhnliche Bäume zu sein. Nichts aber, worauf der Blick verweilen könnte, nichts, was sich eingeprägt hätte. Nichts auch,
worüber man hätte nachdenken können, denn dächte man an
Karl, die vergangene Nacht und das ertrunkene Dorf, verlöre
man sich in Fieberträume.
»Dabei war der Gekränkte kein schlechter Mensch, er und
Hinkebein fanden dich seinerzeit im Dickicht. Eigentlich wollten sie zum Ameisendorf, doch dann verschlug sie’s ins Dikkicht, dort haben sie dich gefunden und hergeschleppt, das
heißt, geschleppt hat dich eigentlich der Gekränkte, während
Hinkebein hinterhermarschierte und alles aufhob, was aus
deinen Taschen fiel… Alles mögliche hat er aufgelesen, wie er
sagt, bloß hat er’s mit der Angst zu tun bekommen und die
Sachen weggeworfen. Solche Sachen, sagt er, sind bei uns
noch nie gewachsen, können es auch gar nicht. Schließlich hat
dir der Gekränkte deine Kleider ausgezogen, ganz eigenartige
Kleider hattest du an, keiner begriff, wo so was wächst und
wie… Na jedenfalls hat er die Kleidung in Stücke geschnitten
und ringsum ausgesät, er dachte, vielleicht wächst sie. Aber da
ist nichts gewachsen, nicht mal aufgegangen ist sie, und wieder
lief er durchs Dorf und fragte: Warum wächst unsere Kleidung,
wenn man sie in Stücke schneidet und aussät, die vom Schweiger aber geht nicht mal auf? – Er hat auch dir oft zugesetzt,
hätte dir das Leben zur Hölle gemacht, nur warst du damals
bewußtlos und hast immerzu unverständliches Zeug vor dich
hingemurmelt, genau wie der ohne Gesicht, auch hast du dich
mit dem Arm abgeschirmt. Bis er endlich von dir abließ, ohne
etwas erreicht zu haben. Danach sind noch viele Männer ins
Dickicht gegangen, auch Faust und Schwanz, sogar der Dorfälteste ging mit, sie hofften, wieder einen zu finden wie dich.
Aber sie haben keinen gefunden… Dann haben sie dich mir
übergeben. Pfleg ihn gesund, so gut du kannst, haben sie gesagt, wenn du ihn gesund machst, kannst du ihn heiraten, er ist zwar ein Fremder, aber du bist ja auch eine Fremde. Ja, Schweiger, ich bin auch eine Fremde. Und das kam, weil Schatten meine Mutter

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