Die Reliquienjägerin: Historischer Roman (German Edition)
Engelbert vorerst verboten, das Objekt seiner Begierde zu rauben, denn noch wankte seine Stellung als König, und er musste jeden Schritt mit Bedacht tun.
»Macht ihm ein Angebot, das er nicht abschlagen kann, mein lieber Engelbert. Aber lasst Euch nichts zuschulden kommen«, hatte Karl angeordnet. »Und falls doch, lasst Euch nicht erwischen.«
Engelbert hatte sich stumm verneigt und es sich verkniffen, seine Gedanken auszusprechen: Karls Ruf war schon lange dahin, zu oft hatte er in die Truhen der Klöster und Kirchen gegriffen, ohne zu fragen, und manchmal war der Griff so ruppig gewesen, dass Blut dabei geflossen war.
Aber heute würde Engelbert das Geschäft mit Ambrosius zu Ende bringen, so oder so. Entschlossen durchquerte er die Gasse und hielt auf die imposanten Mauern des Klosters zu.
Die Pforte erschien Engelbert von der Hardenburg besonders abweisend. Es war nicht einfach eine Holztür, nein, es war ein Portal, das einer Burg würdig war. Wer hier hineinwollte, war entweder ein geladener Gast, dem bereitwillig geöffnet wurde, oder er war ein Feind – aber dann musste er erst versuchen, das harte Eichenholz und die zähen Eisenbeschläge mit roher Gewalt zu sprengen. Das ganze Kloster war wehrhaft ausgelegt und erinnerte Engelbert an ähnliche Hindernisse, die er in seiner Laufbahn als Krieger Gottes hatte überwinden müssen.
Noch bevor er den bronzenen Engelskopf, der als Türklopfer diente, mit der Hand berühren konnte, schwang die Pforte auf. Abt Ambrosius persönlich erschien auf der Schwelle.
»Mein lieber Engelbert, wie schön, Euch zu sehen. Ich hoffe, es geht Euch gut?«
Er lächelte honigsüß, und jeder, der den Abt nicht kannte, hätte ihm seine Freundlichkeit abgenommen. Er sah wie ein zuvorkommender Gastwirt aus, ganz von dem Willen beseelt, seinem Kunden den Aufenthalt zu versüßen.
Engelbert neigte leicht den Kopf. »Ganz meinerseits, verehrter Abt. Und gut wird es mir gehen, wenn wir unser Geschäft zum Abschluss gebracht haben.«
Engelbert folgte Ambrosius in dessen Schreibstube. Inzwischen kannte er dort jedes Bodenbrett und jede Einzelheit der kunstvollen Wandteppiche, die den Kreuzweg Jesu Christi zeigten. Aber heute hatte er keine Muße, sich in die Bilder zu vertiefen. Er zog einen Beutel unter dem Umhang hervor, prall gefüllt mit Silbermünzen, und knallte ihn auf das Schreibpult des Abtes.
»Was sagt Ihr dazu, Bruder Ambrosius?«, fragte er mit einem dünnen Lächeln. »Ein wahrhaft fürstliches Schmerzensgeld für den Verlust zweier winziger Knöchelchen, meint Ihr nicht auch?«
Ambrosius verzog keine Miene. »Ihr führt mich in Versuchung, in der Tat, Bruder Engelbert.«
Engelbert drohte der Geduldsfaden zu reißen. Wenn dieser selbstgefällige Abt nicht hören wollte, dann würde er fühlen müssen. »Ihr wisst, von welch tiefer Frömmigkeit unser König ist«, erwiderte er mühsam beherrscht.
»Alle Welt weiß das.« Abt Ambrosius lächelte spitz. »Es heißt, so manch einer schließe seine Reliquien in die schwersten Truhen ein und werfe anschließend den Schlüssel in den Brunnen, und dennoch seien sie vor der Sammelwut unseres hochverehrten Königs Karl nicht sicher.«
»Dummes Gewäsch.« Engelbert winkte ab. Gott sei Dank hatte der Abt nicht herausgefunden, warum Karl diese Reliquie unbedingt in seinen Besitz bringen wollte: Die Finger des heiligen Franziskus sollten im Fundament der Kapelle der Burg Karlstein ihre letzte Ruhestätte finden und Karl stets daran erinnern, dass er in Demut und Gehorsam leben wollte, dass er verzichten wollte auf Hurerei und Verschwendungssucht. »Bisher ist noch jeder angemessen entlohnt worden – wenn er eingesehen hat, dass die Belange des Königs wichtiger sind als die kleinlichen Bedürfnisse seiner Untertanen. Karl ist ein großmütiger König, aber wie jeder gute Vater weiß er auch, dass er manchmal Strenge walten lassen muss, um sein Volk auf dem rechten Weg zu halten. Falls ihm Zweifel an Eurer bedingungslosen Treue kommen sollten …«
Engelbert holte Luft und musterte sein Gegenüber. Doch er nahm keine Regung wahr. Also musste er mehr Druck machen.
»Wie Ihr wisst, hat der König in seiner Großmut bisher darüber hinweggesehen, dass der Rat der Aufständischen in Euren Mauern getagt hat.« Engelbert hob einen Zeigefinger, um jeglichen Einwand des Abtes zu unterbinden. »Und Ihr möchtet doch sicherlich nicht, dass Karl seinen väterlichen Freund Papst Clemens VI. wegen Eurer zweifelhaften Gesinnung um Rat
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