Die Revolte des Koerpers
Rest von Leben hieß Arbeit. Und Arbeit hieß Beherrschung. Und wo war das eigentliche Leben? Wo waren die Gefühle?
»Also klammerte ich mich an meine Arbeit. Bei jedem Auftrag zerfraß die Angst, alldem nicht mehr gewachsen zu sein, meine Eingeweide. Ich begriff selbst nicht, wie es mir gelang, Reisen durchzustehen, Interviews zu führen, Texte zu schreiben.
Also saß ich in diesem Hotelzimmer und redete, zerfressen von Versagensangst, Scham, Selbsthaß und Drogengier. Nur diese verdammten 45 Minuten. Dann hast du es überstanden. Ich sah dem Regisseur dabei zu, wie er mit seinen Gesten seine Sätze rahmte. Stunden später sah ich meinen Händen zu, die den Hals meiner Freundin würgten.
[...]«
Möglicherweise gelingt es der Droge, Ängste und Schmerzen so weit zu unterdrücken, daß der Betreffende die wahren Gefühle nicht spüren muß – solange die Droge noch wirkt. Um so mehr aber schlagen diese ungelebten Emotionen zu, wenn die Wirkung der Droge nachläßt. So war es auch hier:
»Die Rückreise nach dem Interview war eine Tortur. Schon im Taxi war ich weggedämmert, ein flacher, fiebriger Erschöpfungsschlaf, aus dem ich ständig hochschreckte. Ein Film von kaltem Schweiß bedeckte meine Haut. Es sah danach aus, daß ich meinen Flug verpassen würde. Noch eineinhalb Stunden länger auf meinen nächsten Druck warten zu müssen schien mir unerträglich. Ich sah alle 90 Sekunden auf die Uhr.
Drogensucht macht dir die Zeit zum Feind. Du wartest. Ständig, in endloser Wiederholungsschleife, immer wieder aufs neue. Auf das Ende der Schmerzen, deinen Dealer, das nächste Geld, einen Platz in der Entgiftung oder einfach nur darauf, daß der Tag endlich zu Ende geht. Daß alles endlich zu Ende geht. Nach jedem Druck läuft die Uhr wieder unaufhaltsam gegen dich. Vielleicht ist das das Hinterhältigste an der Sucht – sie macht dir alles und jeden zum Feind. Die Zeit, deinen Körper, der nur durch lästige Bedürfnisse auf sich aufmerksam macht, Freunde und Familie, deren Sorgen du nicht zerstreuen kannst, eine Welt, die nur Forderungen stellt, denen du dich nicht gewachsen fühlst. Nichts strukturiert das Leben mit solcher Eindeutigkeit wie die Sucht. Sie läßt keinen Raum für Zweifel, nicht mal für Entscheidungen. Zufriedenheit mißt sich an der vorhandenen Drogenmenge. Sucht ordnet die Welt.
Ich war an diesem Nachmittag nur einige hundert Kilometer von zu Hause entfernt, aber es schien mir wie das Ende der Welt. Zu Hause, das war da, wo die Drogen auf mich warteten. Daß ich den Flieger noch erreichte, konnte meine Unruhe nur kurzfristig zügeln. Der Start verzögerte sich, ich dämmerte wieder vor mich hin. Jedesmal, wenn ich die Augen öffnete und sah, daß die Maschine immer noch auf dem Rollfeld stand, hätte ich heulen können. Der Entzug kroch langsam in meine Glieder und biß sich in den Knochen fest. Ein inwendiges Reißen in Armen und Beinen, als wären Muskeln und Sehnen zu kurz.«
Die verbannten Emotionen verschaffen sich wieder Zugang und bestürmen den Körper.
»In meiner Wohnung wartete Monika auf mich. Sie war nachmittags bei unserem Dealer gewesen, einem jungen Schwarzen, und hatte Heroin und Kokain gekauft. Das nötige Geld hatte ich ihr vor meinem Abflug gegeben. Das war unser ganz persönlicher Deal – ich verdiente das Geld, und sie ging los, Drogen besorgen.
Ich haßte alle Junkies, wollte mit der Szene so wenig wie möglich zu tun haben. Und bei der Arbeit beschränkte ich, wenn es irgend ging, meine Kontakte mit den zuständigen Redakteuren auf E-Mail und Fax, ging erstans Telefon, wenn die Nachricht auf dem Anrufbeantworter keinerlei Aufschub mehr zuließ. Mit meinen Freunden redete ich schon lange nicht mehr, ich hatte ihnen sowieso nichts zu sagen.
Wie so häufig in den vergangenen Wochen hatte ich stundenlang im Bad gesessen und versucht, eine Ader zu finden, die noch nicht völlig zerstört war. Vor allem das Kokain zerfrißt die Venen, die zahllosen Einstiche mit nichtsterilen Spritzen tun das übrige. In meinem Badezimmer sah es aus wie in einer Schlachterei, Blutschlieren im Waschbecken und auf dem Boden, Wände und Decke bespritzt.
Die Entzugserscheinungen an diesem Tag war ich halbwegs losgeworden, indem ich zunächst ungefähr ein Gramm Heroin geraucht hatte – das braune Pulver verdampft auf einem Alu-Blech, das von unten erhitzt wird, der Rauch wird inhaliert, so tief wie irgend möglich. Da die Droge den Umweg über die Lunge nehmen muß,
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