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Die Revolte des Koerpers

Die Revolte des Koerpers

Titel: Die Revolte des Koerpers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Miller
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Bulimie und anderen Eßstörungen. Der Körper macht deutlich, daß er (in der Vergangenheit) etwas dringend brauchte, als ein winzig kleines Wesen, doch die Botschaft wird mißverstanden, solange die Emotionen ausgeschaltet bleiben. So wird die Not des kleinen Kindes fälschlicherweise als die heutige Not registriert, und alle Versuche, sie in der Gegenwart zu beseitigen, müssen fehlschlagen. Denn heute haben wir andere Bedürfnisse als damals, und wir können viele davon befriedigen, wenn sie nicht mehr in unserem Unbewußten mit den alten gekoppelt sind.

II.7  Wir dürfen merken
     
    Eine Frau schrieb mir, daß sie sich in einer jahrelangen Therapie darum bemühte, den Eltern die zum Teil gefährlichen körperlichen Angriffe nachzusehen, weil die Mutter offenbar an einer Psychose litt. Je mehr sich die Tochter zu dieser Nachsicht zwang, desto tiefer versank sie in ihrer Depression. Sie fühlte sich wie in einem Gefängnis eingesperrt. Nur das Malen half ihr, ihre Suizidgedanken abzuwehren und sich am Leben zu erhalten. Nach einer Ausstellung verkaufte sie Bilder, und einige Agenten machten ihr große Hoffnungen. In ihrer Freude erzählte sie das ihrer Mutter, die sich ebenfalls freute und sagte: »Jetzt wirst du viel Geld verdienen und wirst dich um mich kümmern können.«
    Als ich das las, erinnerte ich mich an eine Bekannte namens Klara, die mir wie nebenbei erzählte, ihr verwitweter, aber kerngesunder und geschäftstüchtiger Vater hätte am Tage ihrer Pensionierung, auf die sie sich »wie auf ein zweites Leben« freute, zu ihr gesagt: Jetzt wirst du endlich genug Zeit haben, um dich mehr um meine Geschäfte zu kümmern. Diese Bekannte, die sich ihr Leben lang mehr um andere kümmerte als um sich selbst, merkte gar nicht, daß diese Äußerung sich wie eine neue schwere Last auf sie legte, sie erzählte alles lächelnd, fast heiter. Auch die Familie fand, daß es jetzt tatsächlich an der Zeit wäre, wenn sie nun die Rolle der gerade verstorbenen, langjährigen Sekretärin übernehmen könnte, da sie doch frei sei. (Was soll denn die arme Klara anderes mit ihrer Freizeittun, als sich für den Vater zu opfern?) Aber schon nach wenigen Wochen hörte ich, daß Klara an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankt war. Wenig später starb sie. Sie hatte die ganze Zeit an starken Schmerzen gelitten, und meine Versuche, sie an den Satz ihres Vaters zu erinnern, blieben erfolglos. Sie bedauerte, daß sie nun wegen dieser Krankheit nicht imstande war, ihm zu helfen, weil sie ihn sehr liebte. Sie wisse nicht, weshalb sie nun mit diesem Leiden geschlagen sei, sie war fast nie krank gewesen, alle hätten sie um ihre Gesundheit beneidet. Klara lebte sehr stark in ihren Konventionen, und ihre wahren Gefühle kannte sie offenbar kaum. So mußte der Körper sich melden, aber leider gab es niemanden in der Familie, der ihr geholfen hätte, den Sinn seiner Sprache zu entziffern. Nicht einmal ihre erwachsenen Kinder waren dazu bereit und in der Lage.
    Anders erging es der Malerin. Sie spürte deutlich den Ärger auf ihre Mutter, als sie deren Reaktion auf die gut verkauften Bilder vernahm. Von da an erlahmte die Freude der Tochter für einige Monate, sie war unfähig zu malen und fiel wieder in ihre Depressionen. Sie beschloß, weder ihre Mutter zu besuchen noch die Freunde, die diese unterstützten. Sie hörte auf, den Zustand ihrer Mutter vor ihren Bekannten zu verstecken, fing an, sich mitzuteilen, und nun fand sie wieder ihre Energien und die Freude am Malen. Was ihr die Energien zurückgab, war das Zulassen der vollen Wahrheit über die Mutter und die schrittweise Aufgabe der Bindung, das heißt unter anderem des Mitleids und der Erwartung, sie könne die Mutter glücklich machen, damit sie sie eines Tages lieben könnte. Sie hat akzeptiert, daß sie diese Mutter nicht lieben kann, und sie wußte nun genau warum.
    Geschichten dieser Art mit einem positiven Ausgang hörtman eher selten, aber ich denke, daß sie sich mit der Zeit häufen werden, sobald es uns gelingt zu erkennen, daß wir den Eltern, die uns schwer verletzt haben, keine Dankbarkeit schulden und schon gar keine Opfer. Diese brachten wir ja nur den Phantomen, den idealisierten Eltern, die ja gar nicht existierten. Weshalb fahren wir fort, uns für Phantome zu opfern? Warum bleiben wir an Beziehungen kleben, die uns an alte Qualen erinnern? Weil wir hoffen, daß sich dies eines Tages ändern wird, wenn wir nur das richtige Wort finden, die richtige Haltung einnehmen,

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