Die Revolte des Koerpers
läßt die Wirkung einige Minuten auf sich warten, eine Ewigkeit also. Der Rausch steigt nur langsam und bedächtig in den Kopf, der erlösende Kick bleibt aus. Ein wenig wie Sex ohne Orgasmus.
Außerdem war das Inhalieren eine Tortur für mich. Ich bin Asthmatiker, meine Lunge rasselte schon nach kurzer Zeit, jeder Zug schmerzte wie ein Messerstich und löste Übelkeit und Brechreiz aus. Mit jedem vergeblichen Injektionsversuch wuchs meine Unruhe.
Mein Kopf war voll von Bildern, von Erinnerungen an Augenblicke voller Verzückung und unglaublicher Intensität. Erinnerungen daran, wie ich als I4jähriger Haschisch schätzen lernte, weil ich plötzlich Musik nicht nur hören, sondern im ganzen Körper spüren konnte. Daran, wie ich im LSD-Rausch mit vor Staunen offenem Mund vor einer Fußgängerampel stand und der Wechsel der Farben kleine Lichtexplosionen in meinem Hirn auslöste. Neben mir meine Freunde, auf magische Weise mit mir verbunden. Erinnerungen an meinen ersten Druck, der mich ähnlich gefangennahm wie mein erster Sex: daran, wie das Heroin-Kokain-Gemisch all meine Nervenzellen zum Schwingen brachte, bis ich vor erregter Spannung vibrierte, eine Art riesiger chinesischer Gong aus Fleisch und Knochen. An die alles besänftigende Wirkung des Heroins, eine Art Lenor für die Seele, das dich warm umschließt wie die Fruchtblase den Fötus. [...]«
Dieser Mann bringt sehr deutlich zum Ausdruck, mit welcher Kraft die wahren Bedürfnisse und Gefühle auftauchen, wenn die Droge nicht zur Verfügung steht. Die authentischen Gefühle des Mangels, der Verlassenheit und der Wut erzeugen aber Panik, so daß sie wieder mit Hilfe des Heroins bekämpft werden müssen. Zugleich soll der Körper durch die Droge zur »Produktion« erwünschter, positiver Gefühle manipuliert werden. Derselbe Mechanismus ist natürlich auch beim Konsum legaler Drogen, wie Psychopharmaka, wirksam.
Die zwanghafte Abhängigkeit von Substanzen kann katastrophale Wirkungen haben, gerade weil sie den Weg zu den wahren Emotionen und Gefühlen verbaut. Die Droge kann zwar euphorische Gefühle schenken, die einst infolge der grausamen Erziehung eingebüßte Kreativität anregen, aber der Körper toleriert diese Selbstentfremdung nicht für die Dauer des Lebens. Wir haben bei Kafka und anderen gesehen, daß auch die schöpferischen Tätigkeiten, wie das Schreiben und Malen, eine Zeitlang helfen können, zu überleben, aber sie erschließen nicht den durchfrühe Mißhandlungen verlorenen Zugang zu der eigentlichen Lebensquelle eines Menschen, solange er das Wissen um seine Geschichte fürchtet.
Besonders Rimbaud liefert uns hierfür ein erschütterndes Beispiel. Die Drogen konnten nicht die seelische Nahrung ersetzen, die er wirklich gebraucht hätte, und sein Körper ließ sich über seine wahren Gefühle nicht täuschen. Doch wäre er nur einem Menschen begegnet, der ihm geholfen hätte, die destruktive Wirkung seiner Mutter vollständig zu erkennen, statt sich selbst dafür zu bestrafen, hätte sein Leben eine andere Wendung nehmen können. So scheiterten alle Fluchtversuche, und er war immer wieder gezwungen, zur Mutter zurückzukehren. Auch das Leben Paul Verlaines endete sehr früh, er starb mit einundfünfzig Jahren, im Elend, äußerlich infolge seiner Drogensucht und des Alkoholismus, die seine Geldreserven vollständig aufgebraucht hatten. Doch die innere Ursache war wie bei so vielen anderen der Mangel an Bewußtsein, die Fügsamkeit unter das allgemein geltende Gebot, die mütterliche Kontrolle und Manipulation (häufig mit Hilfe des Geldes) schweigend zu dulden. Verlaine lebte schließlich bei Frauen, die ihm Geld gaben, angeblich bei Prostituierten, nachdem er doch in seinen jungen Jahren so sehr gehofft hatte, sich mit Hilfe der Selbstmanipulation durch Substanzen befreien zu können.
Nicht in allen Fällen hat die Droge die Funktion, den Menschen von der Abhängigkeit und den mütterlichen Zwängen zu befreien. Häufig geht es beim Konsum von legalen Drogen (wie Alkohol, Zigaretten, Medikamente) um den Versuch, das Loch zu füllen, das die Mutter hinterlassen hat. Das Kind hat nicht die Nahrung bekommen, die es von ihr brauchte, und konnte sie später auch nicht mehr finden. Im drogenfreien Zustand kann dieseLücke buchstäblich als physischer Hunger gespürt werden, als ein Hungerkrampf im Magen, der sich zusammenzieht. Wahrscheinlich wird der Grundstein zur Sucht ganz am Anfang des Lebens gelegt, damit auch der Grundstein zur
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