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Die Revolte des Koerpers

Die Revolte des Koerpers

Titel: Die Revolte des Koerpers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Miller
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...«, doch dieses hindert einige von ihnen nicht, dem Wiederholungszwang gehorchend, Kinder und Jugendliche zu vergewaltigen. Sie verdrängen, daß sie ein Verbrechen begehen. Damit schützen sie auch ihre Eltern und realisieren nicht, was diese an ihnen verbrochen hatten. Daher ist das Predigen der Vergebung hier nicht nur heuchlerisch und nutzlos,sondern auch gefährlich. Es verschleiert den Wiederholungszwang.
    Was uns vor Wiederholung schützt, ist nur das Zulassen unserer Wahrheit, der ganzen Wahrheit, mit all ihren Aspekten. Wenn wir so genau wie möglich wissen, was unsere Eltern mit uns getan haben, sind wir nicht in Gefahr, deren Untaten zu wiederholen. Ansonsten tun wir es automatisch und haben die größten Widerstände gegen die Idee, man könne, dürfe und müsse die kindliche Bindung an die mißhandelnden Eltern auflösen, wenn man erwachsen werden und sein eigenes Leben in Frieden aufbauen will. Wir müssen die Verwirrung des kleinen Kindes aufgeben, die aus unserer einstigen Bemühung stammt, Mißhandlungen nachzusehen und einen Sinn daraus abzuleiten. Als Erwachsene können wir damit aufhören und auch verstehen lernen, auf welche Weise die Moral in den Therapien das Ausheilen der Verletzungen erschwert.
    Einige Beispiele mögen im Konkreten illustrieren, wie sich das abspielt: Eine junge Frau ist verzweifelt, sowohl im Berufsleben als auch in ihren Beziehungen hält sie sich für eine Versagerin. Sie schreibt:
     
    »Je mehr mir meine Mutter sagt, daß ich eine Null bin, daß ich nichts erreichen kann, desto mehr versage ich überall. Aber ich will doch meine Mutter nicht hassen, will Frieden mit ihr machen, will ihr vergeben, um mich endlich von meinem Haß zu befreien. Doch das gelingt mir nicht. Auch in dem Haß fühle ich mich durch sie gejagt, als ob sie mich hassen würde. Dabei kann das doch nicht stimmen. Was mache ich bloß falsch? Aber ich weiß, daß ich leiden werde, wenn es mir nicht gelingt, ihr zu vergeben. Denn meine Therapeutin sagte, wenn ich mit meinen Eltern Krieg führe, sei es das gleiche, als würde ich mit mir selbst Krieg fuhren. Natürlich weiß ich, daß man nicht vergeben soll, wenn man es nicht aus der Tiefe des Herzens tun kann, und ich fühle mich ganz verwirrt, denn es gibt Momente, in denen ich vergeben kann und Mitleid mit meinen Eltern fühle, und plötzlich werde ich wütend und lehne mich auf gegen das, was sie gemacht haben, und dann will ich meine Eltern gar nicht sehen. Ich will aber mein eigenes Leben leben, zur Ruhe kommen und nicht ständig daran denken, wie sie mich geschlagen, gedemütigt und fast gefoltert haben.«
     
    Diese Frau ist überzeugt, daß sie sich in einen Krieg mit den Eltern begibt und dies das gleiche wäre wie einen Krieg mit sich selbst zu führen, wenn sie ihre Erinnerungen ernst nimmt und ihrem Körper treu bleibt. Das hat ihr die Therapeutin gesagt. Aber die Konsequenz dieser Aussage ist, daß diese Frau zwischen ihrem Leben und dem der Eltern überhaupt nicht unterscheiden kann, daß sie gar keine Identität haben und sich nur als Teil ihrer Eltern begreifen darf. Wie kommt die Therapeutin zu einer solchen Aussage? Ich weiß es nicht. Aber ich meine, in solchen Äußerungen die Angst der Therapeutin vor den eigenen Eltern wahrzunehmen. Es ist kein Wunder, daß die Klientin sich von dieser Angst und Verwirrung anstecken läßt und es nicht wagt, ihre Kindheitsgeschichte aufzudecken, um ihren Körper mit seiner Wahrheit leben zu lassen.
    In einem anderen Fall schreibt eine sehr intelligente Frau, sie möchte nicht pauschale Urteile über ihre Eltern fällen, sondern die Dinge differenziert sehen. Denn obwohl sie als Kind geschlagen und sexuell mißbraucht wurde, hat siedoch auch gute Momente mit den Eltern erlebt. Die Therapeutin bestätigt sie darin, daß sie eben die guten und schlechten Momente gegeneinander abwägen sollte und als Erwachsene verstehen müsse, daß es keine perfekten Eltern geben könne und alle Eltern ihre Fehler machen müßten. Doch darum geht es ja nicht. Es geht darum, daß die nun erwachsene Frau die Empathie entwickeln müßte für dieses kleine Mädchen, dessen Leiden niemand gesehen hat, weil sie für die Interessen der Eltern gebraucht wurde, die sie, dank ihrer großen Begabung, perfekt erfüllen konnte. Wenn sie nun so weit ist, dieses Leiden zu spüren und dem Kind in sich eine Begleitung zu gönnen, sollte sie nicht die guten und die schlechten Momente gegeneinander aufrechnen, weil sie damit wieder

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