Die Revolte des Koerpers
später nur mit einem leichten Juckreiz, der ihr jeweils klarmachte, daß das Kind ihren Beistand brauchte. Obwohl Veronika einen verantwortungsvollen Beruf ausübte, hatte sie die Tendenz, sich an Menschen zu binden, denen sie im Grunde gleichgültig war, und ihnen total hörig zu werden, solange sie nicht das wahre Verhalten ihres Vaters durchschaute. Das hat sich nach der Therapie vollständig verändert. Sie fand in ihrem Körper einen Verbündeten, der wußte, wie sie sich helfen kann. Und genau das sollte meines Erachtens das Ziel jeder Therapie sein.
Dank der hier geschilderten und ähnlicher Entwicklungen, die ich in den letzten Jahren beobachtet habe, wurde mir eines klar: Die so früh durch unsere Erziehung übernommene Moral des Vierten Gebotes muß ausgeschaltet werden, um einen positiven Therapieausgang zu gewährleisten. Aber leider führt in allzu vielen Therapien die Moral der Schwarzen Pädagogik entweder von Anfang an Regie oder wird irgendwann im Laufe der Therapie eingesetzt, weil der Therapeut sich von diesen Zwängen noch nicht befreit hat. Häufig wird das Vierte Gebot mit den Geboten der Psychoanalyse gekoppelt. Sogar dann, wenn dem Klienten eine Zeitlang geholfen worden war, die erlittenen Verletzungen und Mißhandlungen endlich zu sehen, wird, wie ich oben ausgeführt habe, früher oder später darauf hingewiesen, daß ein Elternteil auch gute Seiten gehabt und dem Kind auch vieles gegeben habe, für das der Erwachsene jetzt dankbar sein müsse. Schon ein solcher Hinweis genügt, um den Klienten wieder total zu verunsichern, denn es ist gerade diese Bemühung, die guten Seiten der Eltern zu sehen, die ihn zum Verdrängen seiner Wahrnehmungen und Gefühle geführt hat, wie Kertész es so eindrucksvoll in seinem Buch beschrieben hat.
Laura hat sich auf einen Therapeuten eingelassen, der ihr zunächst ermöglichte, zum ersten Mal ihre Maske abzulegen, ihre Härte als künstlich zu erkennen und sich einem Menschen anzuvertrauen, der ihr half, den Zugang zu ihren Gefühlen zu finden und auch ihre kindliche Sehnsucht nach Nähe und Zärtlichkeit zu erinnern. Laura hatte ähnlich wie Veronika die Rettung vor der Kälte ihrer Mutter beim Vater gesucht; im Unterschied zu Veronikas Vater jedoch zeigte er ein viel größeres Interesse an dem kleinen Mädchen und spielte manchmal sogar mit ihm, so daß er Hoffnung auf eine gute Beziehung im Kind aufrechterhielt. Doch Lauras Vater hatte von den Züchtigungen der Mutter gewußt und trotzdem das Kind bei ihr gelassen, hat es nicht geschützt, hatte keine Verantwortung für das Kind übernommen. Und was das Schlimmste war, er hat im Kind die Liebe geweckt, die er eigentlich nicht verdiente, schrieb sie mir. Mit dieser Liebe lebte die junge Frau bis zu einer Erkrankung, deren Sinn sie mit Hilfe von Therapeuten zu verstehen versuchte. So schien ihr Therapeut erst sehr vielversprechend zu sein, mit seiner Hilfe gelang es Laura, die Mauer der Abwehr in sich abzubauen, doch schließlich begann er, mehr und mehr eine Mauer aufzubauen, als in Lauras Gefühlen der Verdacht der inzestuösen Ausbeutung durch den Vater auftauchte. Er sprach dann plötzlich von ödipalen Wünschen des Kindes, und damit verwirrte er Laura in ähnlicher Weise, wie ihr Vater das mit ihr getan hatte. Er opferte sie seiner eigenen Schwäche und seinen unverarbeiteten, weil verdrängten Erinnerungen. Er bot ihr die analytische Theorie statt der Empathie eines Wissenden Zeugen an.
Laura konnte zwar dank ihrer Belesenheit die Flucht des Therapeuten durchschauen, aber sie wiederholte mit ihm das gleiche Muster, da ihre Beziehung zum Vater unaufgelöst blieb. Sie war dem Therapeuten und dem Vater weiterhin dankbar für das, was sie von ihnen erhalten hatte, gehorchte auf diese Weise der traditionellen Moral und konnte ihre kindliche Bindung in beiden Fällen nicht auflösen. So bestanden die Symptome weiter, trotz der Primär- und Körpertherapie, die sie dann versuchte. Den Sieg schien die Moral davonzutragen, der ihre Geschichte und ihr Leiden in vielen Therapien geopfert wurde, bis es Laura mit Hilfe einer Gruppentherapie möglich wurde, ihre unbegründete Dankbarkeit und ihre Schuldgefühle aufzugeben, das Versagen ihres Vaters in ihrer Kindheit mit allen Folgen wahrzunehmen und zu sehen, daß hier ihre eigene Verantwortung für ihr Leben lag.
Von da an hat sie buchstäblich, dank des Zulassens ihrer Wahrheit, ein neues, kreatives Leben führen können. Sie wußte nun, daß ihr heute
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