Die Revolution der Ameisen
sondern die Gegenwart erklärt.
Weiter hinten fand sie Strategien von Scipio dem Älteren und Clausewitz, und sie fragte sich flüchtig, ob diese Enzyklopädie vielleicht ein Handbuch der Indoktrinierung war, fand dann aber auf einer anderen Seite folgenden Ratschlag: Mißtrauen Sie jeder politischen Partei, Sekte, Korporation, Religion. Sie brauchen nicht darauf zu warten, daß andere Ihnen sagen, was Sie denken müssen. Lernen Sie, selbständig und unbeeinflußt zu denken.
Es folgte ein Zitat des Sängers Georges Brassens: Anstatt die anderen ändern zu wollen, sollten Sie versuchen, sich selbst zu ändern.
Ein weiterer Abschnitt erregte Julies Aufmerksamkeit: Kurze Abhandlung über die fünf äußeren und die fünf inneren Sinne: Es gibt fünf physische und fünf psychische Sinne. Die fünf Körpersinne sind: Gesichts-, Gehör-, Tast-, Geschmacks-und Geruchssinn. Die fünf psychischen Sinne sind: Empfindung, Vorstellungsvermögen, Intuition, universelles Gewissen und Inspiration. Wenn man nur mit seinen physischen Sinnen lebt, so ist das, als würde man nur die fünf Finger der linken Hand benutzen.
Lateinische und griechische Zitate. Neue Kochrezepte.
Chinesische Ideogramme. Herstellung eines Molotowcocktails.
Getrocknetes Laub. Ein Kaleidoskop von Bildern. Ameisen und Revolution. Revolution und Ameisen. Julies Augen brannten. Sie fühlte sich berauscht von diesem visuellen und informativen Überfluß. Ein Satz fiel ihr auf: Lesen Sie dieses Werk nicht der Reihe nach. Benutzen Sie es vielmehr folgendermaßen: Wenn Sie das Gefühl haben, es zu brauchen, schlagen Sie es aufs Geratewohl auf, lesen Sie die Seite und versuchen Sie herauszufinden, ob sie Ihnen für Ihr aktuelles Problem eine interessante Information liefert.
Und weiter:
Zögern Sie nicht, Passagen zu überspringen, die Ihnen zu langatmig vorkommen. Ein Buch ist kein Heiligtum.
Julie schloß das Werk und versprach ihm, es so zu benutzen, wie man es ihr vorgeschlagen hatte. Sie zog ihre Decke zurecht, und bald atmete sie gleichmäßig, ihre Körpertemperatur senkte sich etwas, und sie schlief ruhig ein.
12. ENZYKLOPÄDIE
Paradoxer-Schlaf: Im Schlaf erleben wir eine besondere Phase, die als ›paradoxer Schlaf‹ bezeichnet wird. Sie dauert 15-20 Minuten und wiederholt sich im Laufe der Nacht alle anderthalb Stunden. Weshalb trägt sie diesen Namen? Weil es paradox ist, daß man sogar im tiefsten Schlaf intensive Aktivierungsmerkmale aufweist.
Wenn die Nächte von Säuglingen oft sehr unruhig sind, so wegen dieses paradoxen Schlafes (Proportionen: ein Drittel normaler Schlaf, ein Drittel leichter Schlaf, ein Drittel paradoxer Schlaf). Während dieser Schlafphase kann man bei Babys oft eine seltsame Mimik beobachten, die sie wie Erwachsene – sogar wie alte Menschen – aussehen läßt. Ihre Gesichter spiegeln abwechselnd Wut, Freude, Trauer, Angst und Überraschung wider, obwohl sie diese Emotionen zweifellos noch nie erlebt haben. Man könnte sagen, daß sie jene Mienen einüben, die sie später zur Schau tragen werden. Bei Erwachsenen reduzieren sich die Phasen des paradoxen Schlafes mit zunehmendem Alter auf ein Zehntel oder sogar ein Zwanzigstel der gesamten Schlafzeit. Sie werden als genußreich empfunden und rufen bei Männern manchmal Erektionen hervor.
Es scheint so, als würden wir jede Nacht eine Botschaft empfangen. Man hat ein Experiment gemacht: Ein Erwachsener wurde mitten in einer paradoxen Schlafphase geweckt und gebeten zu erzählen, wovon er soeben geträumt habe. Dann ließ man ihn wieder einschlafen und rüttelte ihn während der nächsten paradoxen Schlafphase erneut wach.
Dabei wurde festgestellt, daß die beiden Träume zwar verschieden sein mochten, aber doch einen gemeinsamen Nenner hatten. Alles läuft so ab, als würde der unterbrochene Traum auf andere Weise fortgesetzt, um dieselbe Botschaft zu vermitteln.
Kürzlich haben Forscher eine neue Theorie entwickelt. Ihrer Ansicht nach ist der Traum ein Mittel, um sozialen Druck zu überwinden. Im Traum verlernen wir, was wir tagsüber gezwungenermaßen gelernt haben, was jedoch gegen unsere tiefsten Überzeugungen verstößt. Alle uns von außen aufgezwungenen Konditionierungen werden gelöscht. Solange Menschen träumen, ist es unmöglich, sie total zu manipulieren.
Der Traum ist ein natürlicher Hemmschuh für den Totalitarismus.
EDMOND WELLS,
Enzyklopädie des relativen und absoluten Wissens, Band III
13. ALLEIN UNTER DEN BÄUMEN
Es wird
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