Die Revolution der Ameisen
Wertesystem der Indianer keine Tugend, sondern eine Schmach. Es war verpönt, etwas für sich selbst zu tun. Man besaß nichts, man hatte auf nichts ein Anrecht. Sogar heutzutage weiß jeder Indianer, der sich ein Auto kauft, daß er es dem erstbesten Indianer, der ihn darum bittet, ausleihen muß.
Die Kinder wurden ohne Zwänge erzogen. Im wesentlichen erzogen sie sich selbst.
Die Indianer kannten die Selbstbefruchtung von Pflanzen und erzeugten auf diese Weise unter anderem Hybridmais. Mit Hilfe von Kautschuksaft konnten sie wasserdichte Stoffe herstellen, und ihre feinen Baumwollgewebe hatten in Europa nicht ihresgleichen. Sie kannten auch die heilende Wirkung der Salizylsäure und des Chinins …
In der nordamerikanischen Indianergesellschaft gab es keine erbliche Macht, auch keine Macht auf Lebenszeit. Beim Pow-wow, der Ratsversammlung eines Stammes, konnte jeder seine Meinung äußern. Die Indianer hatten schon lange vor den republikanischen Revolutionen in Europa eine ratgebende Versammlung. Und wenn die Mehrheit kein Vertrauen mehr zum Häuptling hatte, zog er sich freiwillig zurück.
Es war eine egalitäre Gemeinschaft. Gewiß, es gab einen Häuptling, aber er war es nur so lange, wie die anderen ihn als Führer akzeptierten. An einen beim Pow-wow gefaßten Beschluß mußte man sich nur halten, wenn man selbst dafür gestimmt hatte. (Das ist in etwa so, als müßten sich bei uns nur jene, die ein Gesetz für gerecht halten, es auch befolgen.) Eine Berufsarmee hat es nie gegeben. Wenn nötig, nahmen alle an der Schlacht teil, doch die soziale Stellung eines Kriegers hing in erster Linie davon ab, ob er auch ein guter Jäger, Landwirt und Familienvater war.
Die Achtung vor dem Leben – vor jedem Leben – war oberstes Gebot, und die Indianer schonten das Leben ihrer Feinde in der Hoffnung, daß diese sich genauso verhalten würden. Immer galt das Gegenseitigkeitsprinzip. »Was du nicht willst, daß man dir tu, das füg’ auch keinem andern zu!«
Krieg wurde mehr oder weniger als Spiel betrachtet, bei dem man seinen Mut unter Beweis stellen konnte, ohne den Feind vernichten zu wollen. Ziel des Kampfes war vielmehr, den Feind mit dem abgerundeten Ende einer Lanze zu berühren.
Das war eine größere Ehre, als ihn zu töten. Diese
›Berührungen‹ wurden gezählt. Normalerweise wurde der Kampf beendet, sobald das erste Blut floß. Tote gab es selten.
Das Hauptziel der Kriege zwischen Indianern bestand darin, die Pferde des Feindes zu stehlen. Die von Europäern geführten Massenkriege blieben ihnen unverständlich. Sie waren schockiert, als sie sahen, daß die Weißen sogar Alte, Frauen und Kinder töteten. Das war in ihren Augen nicht nur barbarisch, sondern auch unlogisch und abwegig.
Trotzdem konnten die nordamerikanischen Indianer den Angriffen der Europäer relativ lange Widerstand leisten. Die südamerikanischen Indianer waren viel leichter zu besiegen.
Dort genügte es, den König zu enthaupten, und schon brach die ganze Gesellschaftsordnung zusammen. Das ist die große Schwäche aller hierarchischen Systeme mit zentralisierter Administration. Man hat sie in der Hand, sobald man sich des Monarchen bemächtigt. Hingegen hatten es die Cowboys in Nordamerika mit Hunderten von Wanderstämmen zu tun, und statt eines unbeweglichen Königs gab es Hunderte beweglicher Häuptlinge. Gelang es den Weißen, einen Stamm von 15\1 Personen zu unterwerfen oder zu vernichten, mußten sie kurz darauf den nächsten Stamm mit 150 Personen angreifen.
Trotzdem trugen sie die Schuld an einem Massaker von gigantischen Ausmaßen. Im Jahre 1492 gab es in Nordamerika zehn Millionen Indianer. Im Jahre 1890 waren es nur noch 150000! Hauptursache für diese Dezimierung waren die von Weißen eingeschleppten Krankheiten.
Bei der Schlacht von Little Big Horn am 25. Juni 1876 kam es zur größten Vereinigung von Indianerstämmen: Zehn-bis Zwölftausend Menschen, darunter drei-bis viertausend Krieger, fügten der Armee von General Custer eine vernichtende Niederlage zu. Doch nach diesem Sieg trennten sich die Indianer wieder, weil es schwierig war, so viele Menschen auf kleinem Territorium zu verpflegen. Außerdem glaubten sie, nach dieser Schmach würden die Weißen nie wieder einen Angriff wagen.
Doch ein Stamm nach dem anderen wurde aufgerieben. Bis 1900 versuchte die amerikanische Regierung, die Indianer auszurotten. Nach 1900 ging sie davon aus, daß auch die Indianer sich in den ›Schmelztiegel‹ integrieren
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