Die Risikoluege
verurteilt wurde, schilderte 2004 in seinem Buch Zwischenfall in Seveso und 2005 in dem Dokumentarfilm Gambit, wie ein autoritärer Führungsstil im Konzern rasches Handeln und die Aufklärung der Bevölkerung verhindert hätten: Der damalige Präsident war in Brasilien gewesen, und keiner seiner Untergebenen habe es gewagt, ihn wegen des Zwischenfalls an einem Wochenende zu behelligen.
Hans Fehr, ehemaliger Pressesprecher von Roche, schildert die erste Krisensitzung am 15. Juli in seiner Autobiografie so: »Dr. Hartmann (Vizedirektor der Roche), ganz Oberst an der Front, stürmte den Ort der Handlung, gefolgt vom Chefchemiker von Givaudan, Dr. Sambeth. Gut, dass Sie da sind. Also erstens: Die Sache wird im engsten
Kreise der Icmesa gehalten, Givaudan und Roche werden nicht erwähnt. Zweitens: Dass es bei der Herstellung von Hexachlorophen passiert ist, wird ... nicht erwähnt. Drittens: Dass Dioxin gebildet wurde, wird nicht erwähnt. Alles klar?«
In seinem Buch Roche versus Adams widmet Stanley Adams dem Seveso-Skandal ein ganzes Kapitel. Darin beschuldigt er Roche und dessen Töchter bei der Errichtung einer neuen Icmesa-Fabrik an den Sicherheitsstandards gespart zu haben, wofür er Konstruktionspläne der Fabrik als Belege hatte. Er erklärt weiterhin, dass Icmesa von dem als Basiszutat für Agent Orange benötigten TCP viel mehr herstellte als für die Parfümproduktion eigentlich benötigt wurde, und dass die gesamte Produktion an eine Givaudan-Fabrik in den USA ging.
Im Sommer 1982 wurde der Unglücksreaktor abgebaut. Nach jahrelangem Streit um die beste Sanierungsmethode wurde der Boden der verseuchten Kernzone großflächig abgegraben und zusammen mit dem Hab und Gut der Betroffenen einbetoniert. Heute befindet sich dort ein Freizeitpark, der Bosco delle querce (Eichenwald), mit Aussichtshügel und Sportanlage. Das Gebiet wurde 2005 feierlich zum neuen Naturpark der Lombardei erhoben. Auf dass Gras über der Katastrophe wachse!
Das Allergiftigste aber, der Inhalt des Reaktionsgefäßes, wurde in 41 Fässer gefüllt, die es dann zu entsorgen galt. Doch keine Deponie wollte die Fässer aufnehmen.
Und nun lief die Geschichte wie in einem Kriminalfilm ab. Auf einem gewöhnlichen Lastwagen passierten die Fässer mit dem hochgiftigen Inhalt im September 1982 in Ventimiglia die italienisch-französische Grenze, beschriftet mit dem einem Zollbeamten natürlich unbekannten
Chemiekürzel TCDD. Kein Wort von Dioxin oder Seveso, dem Herkunftsort der Fässer. Wenig später wurde die Fracht zum letzten Mal gesehen, in St. Quentin, nördlich von Paris. Dann verschwanden die Fässer mit dem Giftmüll spurlos.
Verantwortlich für den Transport war der Schweizer Chemiekonzern Hoffmann-La Roche, der Mannesmann Italia mit der Entsorgung beauftragt hatte. Mannesmann gab den Auftrag aber an zwei andere Firmen weiter, Vadir und Spelidec, die nicht im Handelsregister eingetragen waren und jeweils aus einem Briefkasten und einem Mitarbeiter bestanden.
Als die Fässer verschwunden waren, fühlte sich keiner mehr verantwortlich. Hoffmann-La Roche verwies auf Mannesmann, Mannesmann verwies auf das Entsorgungsunternehmen Spelidec, dessen Besitzer, Bernard Paringaud, Hoffmann-La Roche eine notariell beglaubigte Erklärung ausstellte, dass der Müll ordnungsgemäß endgelagert war. Wo, verschwieg er, auch eine Beugehaft brachte ihn nicht zum Reden.
Acht Monate lang suchte man in halb Europa fieberhaft nach den Fässern. Privatdetektive ermittelten, der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) suchte. Gleichzeitig stieg der Druck auf Hoffmann-La Roche, viele Ärzte verschrieben keine Produkte der Schweizer Firma mehr. Genau das meinte ich, wenn ich eingangs sagte, dass wir uns wehren und Widerstand leisten können, wir sollten es nur viel öfters tun! Ein mir bekannter Professor, der bei Roche in hoher Position stand, verließ aus Protest gegen die Informationspolitik des Konzerns sogar das Haus.
Als Monsieur Paringaud vom Entsorgungsunternehmen Spelidec 1983 dann doch endlich auspackte, wurden die
Fässer am 19. Mai 1983 im nordfranzösischen Ort Anguilcourt-le-Sart, einem 300-Seelen-Dorf, auf dem Hinterhof der örtlichen Fleischerei gefunden, in unmittelbarer Nähe einer Schule. Die Fässer hatten eine Strecke von etwa 900 km zurückgelegt. Als ihr Inhalt dann verbrannt werden sollte, wollte dies aus Angst vor giftigem Rauch auch wieder niemand tun.
Doch erst 1985, also neun Jahre nach der Katastrophe, war es dann der Basler
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