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Die Ritter der vierzig Inseln - Rycari Soroka Ostrovov

Titel: Die Ritter der vierzig Inseln - Rycari Soroka Ostrovov Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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Schiffs, ohne den geringsten Widerstand zu spüren. Wie durch eine Fata Morgana. Was er in Wirklichkeit ja auch war, der stolze Klipper des Verrückten Kapitäns.

4
    DIE GROSSE TÄUSCHUNG
    Es ist ein äußerst merkwürdiges Gefühl, wenn die Hände an der Stelle, wo die Augen unbeirrt einen realen, festen Körper sehen, ins Leere greifen. Für einen quälend langen Augenblick schien es mir, als hätte die mit spitzen Bruchstücken von Muschelschalen besetzte, unaufhaltsam auf mich zukommende Bordwand meine Hand einfach abgeschliffen und ausradiert wie Schmirgelpapier. Doch ich fühlte keinen Schmerz, und es floss auch kein Blut, obwohl meine Arme bereits bis zum Ellenbogen in der hölzernen Wand verschwunden waren.
    Instinktiv riss ich den Kopf zurück, um mein Gesicht zu schützen, aber das Gespensterschiff glitt bereits durch mich hindurch. Als körperloser Schatten fiel das glitschig schimmernde, zerfurchte und verwitterte Holz auf meine Netzhaut. Die Augen zusammenkneifend und einen Schrei unterdrückend, bemerkte ich, dass ich ins kalte Wasser zurücksank, und begann, wild mit den Armen zu rudern. Durch meine geschlossenen Lider drang ein kaltes bläuliches Licht, wie das gleichförmige Flimmern eines Fernsehers, der auf einen toten Kanal eingestellt war. Für Momente tauchte ich in eine atemlose Stille.
    Als sich meine Augen wieder öffneten, war ich auf alles gefasst. Es hätte mich nicht gewundert, mich in einem dreckigen Laderaum wiederzufinden, in dem echte Wellen plätscherten und in blaue Flammen gehüllte Gespenster herumspukten, oder in einem silbergrauen,
Funken sprühenden Nebel aufzutauchen, der im Bauch des falschen Schiffs waberte.
    Die Realität erwies sich als wesentlich einfacher. Sie war allerdings von jener Einfachheit, die heftiger schockiert als irgendeine fantastische Unglaublichkeit. So wie ein stumpfes Taschenmesser in der Hand eines betrunkenen Schlägers mitunter gefährlicher erscheint als ein großkalibriges Maschinengewehr.
    Der Klipper leuchtete von selbst, besser gesagt, seine Hülle. Von innen sah sie aus wie ein dünner blauer Film, den man zu einem riesigen Spielzeugschiff aufgeblasen hatte. Über mir, an Deck, liefen ebenso illusorische, »aufgeblasene« Menschen umher. Lasurblau schimmernde Segel wölbten sich im Wind. Aus dem blauen Film geformte Laternen bargen amorphe Klumpen gelben Lichts.
    Eine Attrappe! Der Klipper des Verrückten Kapitäns war nichts anderes als eine holografisch dargestellte Attrappe, ein Trugbild, eine elektronische Fata Morgana, ein in eine hübsche Form gegossener Betrug!
    In der Mitte des aufgeblasenen Spielzeugs schwamm der Schöpfer des infamen Blendwerks, eine runde Plattform mit einem Durchmesser von fünf Metern, die etwa fünfzig Zentimeter aus dem Wasser herausragte und sich langsam drehte. Ein Hybride aus Spezialschiff und Projektor, ein als antiker Segler getarntes fremdplanetarisches Gerät.
    Überwältigt von den Eindrücken, trieb ich in den Wellen dahin und beobachtete, wie die Plattform näher kam. Sie schwamm geradewegs auf mich zu, mechanisch und gleichgültig. Von einem obskuren Programm gesteuert, bewegte sie sich auf einer vorbestimmten Bahn, ja das
kaltblütige Monstrum nahm vermutlich noch nicht einmal wahr, dass da ein lebendiger Mensch seinen Weg kreuzte.
    Mich trennten nur noch wenige Meter von der Plattform, als ich bemerkte, dass sich in einigem Abstand um sie herum kleine Wasserkämme kräuselten, so als zöge ein Schwarm kleiner Fischchen in einem fröhlichen Reigen darum herum. Muntere, unermüdliche Fischchen, die von Zeit zu Zeit mit den stählernen Schneiden ihrer Flossen das Wasser durchstießen …
    In einer großen Welle kam die Plattform ins Schwanken und neigte sich ein wenig. Dabei tauchte etwa eine Armlänge von mir entfernt einer der Teilnehmer des Reigens auf: eine lange, gleichmäßig gebogene, in der Form an einen Elefantenstoßzahn erinnernde Metallstange, an deren Spitze ein Kranz kurzer, rotierender Messer abstand.
    Das System war simpel: Ein herannahender Schwimmer wurde von einer der unter Wasser rotierenden Stangen erfasst und geriet dann unweigerlich in die messerscharfen Klingen.
    Mir blieben nur Bruchteile von Sekunden, um instinktiv das Richtige zu tun: Blitzartig warf ich die Arme nach vorn, griff hinter die Messer und krallte mich an der vor mir aufragenden Stange fest. Mit einem heftigen Ruck zog sie mich um die Plattform herum durchs Wasser. Wenn ich jetzt losgelassen hätte, wäre es aus

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