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Die Ritter der vierzig Inseln - Rycari Soroka Ostrovov

Titel: Die Ritter der vierzig Inseln - Rycari Soroka Ostrovov Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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wieder auseinandergehen. Reines Theater.
    »Dima!«
    Inga sah mich schweigend an. Die nassen, zerzausten Haare hingen ihr in Strähnen übers Gesicht.
    »Was ist?«
    »Gib mir deine Hand!«
    Fest schloss Inga ihre Hand um meine Finger und wandte sich wieder ab. Für einen Augenblick verstand ich nicht, was geschah. In mein Bewusstsein sickerten nur lose Details: ihre schmalen Schultern, auf denen das durchnässte T-Shirt klebte; die Windjacke, die sie zusammengerollt und um den Bauch gebunden hatte; ihre angewinkelten Beine, die sie gegen das in die Deckplanken gerammte Schwert stemmte. Dann begriff ich.
    »Hab keine Angst, Inga«, flüsterte ich und spürte, wie Melancholie und Zärtlichkeit sich in meine Stimme legten. »Hab keine Angst.«
    Sie rückte näher an mich heran und legte den Kopf an meine Schulter. Noch fester hielt sie meine Hand.
    »Dima, lass mich nicht allein...«
    Angesichts der Lage, in der wir uns befanden, war diese Bitte gewissermaßen absurd, denn wie hätte ich sie mitten auf dem Meer verlassen sollen? Trotzdem erlaubte ich mir nicht einmal den Ansatz eines Lächelns.

    »Natürlich nicht, Inga... Ingulja... Ich bin ja da.«
    Meine Lippen waren nahe daran, etwas so Unvorstellbares und Verrücktes zu flüstern, wie man es nur in einem solchen Moment aussprechen konnte, da unser Schicksal an einem seidenen Faden hing und die Worte im Donnern der Wellen untergingen.
    »Hab keine Angst... Du siehst ja, es passiert uns nichts.«
    Sie reckte ein wenig den Kopf, und unsere Blicke trafen sich wie damals auf der Brücke, als wir einander erkannt hatten.
    »Inga...«
    Mein Herz hämmerte bis zum Hals, ich konnte nicht weitersprechen, und die Worte, die mir auf der Zunge lagen, gerannen zu einem wirren Gedankenstrom.
    Ich bin froh, dass du bei mir bist. Es ist niederträchtig, aber ich bin froh, dass du auf die Insel geraten bist. Ich bin ein mieser Egoist, aber ich bin glücklich, dass du mit mir in diesem verwunschenen Nachen hockst. Du weißt, dass ich glücklich darüber bin, und wirst es mir verzeihen. Denn es geht dir genauso.
    »Der Sturm wird vorbeigehen, und ich werde es wieder nicht gesagt haben...«, hauchte ich stimmlos.
    »Ich verstehe nichts!«, flüsterte Inga und wiegte fragend den Kopf.
    »Ich weiß«, sagte ich, ohne die Stimme zu heben. »Ingulja, dein Name ist wie ein Stück Eis, durchscheinend und schneidend kalt. Ich habe Angst, ihn wärmer zu machen, als ob er schmelzen könnte. Glaub mir, wir kommen hier raus, aber dann werde ich wieder verstummen. Nur deswegen rede ich jetzt, weil du nichts verstehst.«

    »Ich verstehe dich«, flüsterte sie. »Aber sprich trotzdem weiter.«
    Mein Körper begann zu zittern. Natürlich verstand sie mich, unsere Gesichter berührten sich ja fast. Oder das, was ich gesagt hatte, konnte von keinem noch so lauten Geräusch übertönt werden.
    In meinem Augenwinkel erhob sich die schwarze Wand der nächsten Monsterwelle, die sich auf unser Boot zuwälzte. Doch anstatt im Schlund des Ungetüms zu verschwinden, machte die Aliens Nightmare einen Satz nach oben, und schon im nächsten Moment bäumte sich der schaumige Wasserrücken hinter dem Achterdeck, während wir sanft hinabglitten. Es war einfach unglaublich. Für einige Sekunden sah ich der davonrollenden Riesenwalze hinterher, deren Grollen noch über unserem Deck waberte.
    Dann, als ich mich wieder nach vorn wandte, gefror mir das Blut in den Adern: Aus den Wellengebirgen erhob sich ganz langsam, die weißen Segel stolz gebläht, der Klipper des Verrückten Kapitäns.
    Das Schiff war riesig, viel größer, als ich es von der Nacht auf dem Wachturm in Erinnerung hatte, und es sah so echt aus, dass mir augenblicklich klar war: Es konnte unmöglich auf den Inseln gebaut worden sein. Sollten sich die Außerirdischen tatsächlich die Mühe gemacht haben, es von der Erde hierher zu schaffen? Und wenn ja, wozu?
    »Da ist er!«, rief Timur begeistert. »Jetzt sind wir gerettet!«
    Wieso gerettet?
    Ergriffen beobachtete ich, wie der scharfe, metallbeschlagene Bug des Schiffs die Wellen durchpflügte. War
das nun ein Klipper oder eine Brigantine oder ein gewöhnlicher Schoner?
    Ich weiß es nicht. In den auf den Inseln kursierenden Legenden, Märchen und Träumen wurdest du stets Klipper genannt. Du hast auf deinen Sturm gewartet, auf deinen Orkan, der die grausame, ungerechte Welt auslöschen würde. Als Fata Morgana, als märchenhafte Erscheinung spuktest du in unseren Seelen, die in den steinernen

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