Die Ritter der vierzig Inseln - Rycari Soroka Ostrovov
Zementmörtel zusammengefügt worden waren. Dieser Mörtel war im Lauf der Jahre spröde und bröselig geworden.
Zunächst hatten wir noch versucht, die Steine zu zertrümmern, nach einiger Zeit jedoch kamen wir dahinter, dass es weitaus effektiver war, den Zement herauszuschlagen, die Brecheisen in den Zwischenräumen anzusetzen
und dann mit deren Hebelwirkung einzelne Steinquader herauszulösen. So kamen wir viel schneller voran.
Als durch die Fenster die ersten schüchternen Sonnenstrahlen hereinfielen, legte Chris die Stirn in Falten.
»Wir müssen uns beeilen, in einer halben Stunde schieben sich die Brücken zusammen«, sagte er besorgt.
»Machen wir heute gar kein Aufwärmtraining?«, fragte Timur heiser und holte zu einem neuen Schlag mit dem Brecheisen aus.
»Du wärmst dich doch schon seit einer Weile mit dem Brecheisen auf«, beschied Chris trocken.
»Verstanden«, brummte Timur und stemmte wild schnaubend und mit urwüchsiger Kraft einen gewaltigen Steinquader aus der Wand. Mit dumpfem Grollen fiel er auf der Innenseite des geheimnisvollen Raumes zu Boden und hinterließ ein gewaltiges Loch in der Wand. Wir hielten inne und starrten durch die finstere Öffnung.
Als Erster reagierte Chris. Er nahm Tolik das zweite Brecheisen aus der Hand und begann mit raschen Rammstößen, das Loch zu vergrößern. Die Steine ließen sich nun relativ leicht aus dem Mauerwerk schlagen. Die Stabilität jeder Mauer beruht auf ihrer geschlossenen Struktur, sobald man ihr ein Stück entrissen hat, ist auch der Rest dem Zerfall geweiht.
Stein um Stein fiel in die größer werdende Öffnung. Man hätte sich bereits hindurchzwängen können, doch nun hatte uns der Ehrgeiz gepackt: Unsere glühenden Brecheisen förderten in Windeseile die Umrisse der einstigen Tür zutage.
Als Chris keuchend sein Werkzeug sinken ließ, trat ich an die Öffnung heran, bückte mich und spähte hinein.
Niemand hielt mich zurück. In der Finsternis etwas zu erkennen, war auf den ersten Blick nicht weniger schwierig, als die Wand zu durchbrechen.
Zuerst sah ich überhaupt nichts, meine Augen mussten sich an die Dunkelheit gewöhnen. Aus dem schwarzen Loch strömte mir ein Schwall kalter Luft entgegen. Sie war weder stickig noch modrig, sondern einfach abgestanden. Jahrzehntelang hatte niemand diese Luft geatmet, und genau so fühlte sie sich an, als sei sie in ihrem steinernen Käfig abgestorben.
»Was ist da drin?«, fragte Meloman neugierig.
Ich schwieg. Aus der Dunkelheit starrten mich zwei Augen an, die zugleich tot und lebendig waren. Traurige, müde Augen.
»Hier ist ein Gemälde«, sagte ich schließlich. »An der gegenüberliegenden Wand steht ein großes Porträt. Gebt mir mal eine Fackel.«
Jemand reichte mir einen Holzstab, der mit wachsgetränktem Stoff umwickelt war und aus dem eine lodernde Flamme schlug. Die Fackel vor mich hin gestreckt, schlüpfte ich durch die Öffnung.
Der Raum war ziemlich groß. Es waren genau die fünf mal fünf Meter, die auf dem Plan gefehlt hatten. Die Wände waren nach oben hin abgeschrägt, sodass sich in etwa die Form eines vierkantigen, stumpfen Kegels ergab. Es waren keinerlei Fenster oder weitere Türen zu erkennen. Auf zwei Bretterkisten an der gegenüberliegenden Wand stand in einem hölzernen Rahmen das Gemälde, das einen bärtigen Mann mit Dornenkrone zeigte: Jesus Christus. An der Wand hingen noch einige Ikonen.
»Das ist eine Kirche, eine Kapelle«, sagte ich im Flüsterton zu Chris, der nach mir in den Raum gestiegen war.
Nach und nach leuchtete ich mit der Fackel alle Teile des Raumes aus: ein zersprungenes, umgestürztes Fass; noch einige Bretterkisten; leere Dosen, Konserven womöglich; und etwas Weißes, das auf dem Boden verstreut lag und mit halb verrotteten Kleidungsresten bedeckt war. Mir wurde schlecht.
Es waren drei oder vier, die in dem eingemauerten Raum gestorben waren. Zwei von ihnen lagen direkt neben mir, ihre Skelette waren ineinander verschlungen, als hätten sie sich im Sterben dicht aneinandergedrängt und umarmt. Und in der entfernten Ecke des Raums lagen weitere jämmerliche Häuflein aus Knochen und Stofffetzen.
»Grausam«, hauchte Chris stimmlos und fasste mich am Arm, als er die bleichen Gerippe erblickte. »Sie wurden bestialisch umgebracht, Dima.«
»Sie haben sich selbst umgebracht«, entgegnete ich schockiert, als mir klar wurde, was hier geschehen war.
An der Wand stand ein durchgerosteter Eimer, der versteinerte Mörtelreste enthielt. Daneben
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