Die Ritter der vierzig Inseln - Rycari Soroka Ostrovov
anstarrte, bemerkte ich plötzlich, dass er nichts an hatte, rein gar nichts.
»Ähm, ich hätte etwas Wichtiges mit dir zu besprechen, Chris. Komm doch bitte mal zu mir.«
»Ist gut, ich komme. In ein paar Minuten, okay?«
»Ja, danke, ich erwarte dich.«
Gnädig verbarg die Dunkelheit mein knallrot angelaufenes Gesicht. Beim Versuch, mich aus der peinlichen Situation zu retten, waren meine Worte unnatürlich förmlich geraten. Chris musste das als lächerlich empfunden haben, ließ sich aber nichts anmerken.
Im Laufschritt erreichte ich meine Kammer, wo ich eine Kerze entzündete. Schwer atmend setzte ich mich aufs Bett und beobachtete die langsam anschwellende Flamme. Im Raum verbreitete sich der angenehme Duft geschmolzenen Stearins.
»Was ist passiert?«, fragte Chris, als er kurz darauf lautlos meine Kammer betrat.
Er sah aus wie immer: Jeans, T-Shirt, alte Turnschuhe und das Schwert am Gürtel.
»Sieh dir das mal an«, sagte ich und hielt ihm die Blätter hin. »Das ist ein Plan der Burg. Es sind alle Räume und Gänge eingezeichnet, die uns bekannt sind.«
Chris sah sich die Blätter gar nicht erst an, er hatte auch so verstanden. »Die uns bekannt sind?«
»Ja. Mitten in der Burg bleibt sozusagen ein weißer Fleck auf der Landkarte. Zwischen Thronsaal und Küche muss sich ein fünf mal fünf Meter großer Raum befinden, zu dem es keinen Eingang gibt.«
Es kam mir so vor, als ob unser Kommandeur eine halbe Ewigkeit schwieg. Es hätte mich nicht gewundert, wenn er schon lange von dem »weißen Fleck« gewusst hätte. Aber dem war nicht so.
»Schlägst du vor, in diesen Raum einzudringen?«, fragte er.
»Ja, wir müssen die Wand durchbrechen.«
»Ob sie uns das gestatten?«
Irritiert sah ich ihm in die Augen. Seine einfache Frage hatte mir für den Moment die Sprache verschlagen. Chris war unser Kommandeur, der stärkste und mutigste Kämpfer auf der Insel. Hatte er womöglich vor den Außerirdischen kapituliert?
»Wir brauchen doch niemanden zu fragen«, entgegnete ich entschlossen.
»Dima, die Außerirdischen verbieten manchmal die harmlosesten Dinge. Sie haben zum Beispiel nichts gegen Sex auf den Inseln. Aber wenn sich ein Mädchen und ein Junge ineinander verlieben, passieren unschöne Sachen mit ihnen. Sie kommen auf den Brücken um, fallen versehentlich ins Meer oder verschwinden einfach über Nacht. Auf den Inseln ist es sehr schwierig, jemanden zu lieben. Ich glaube nicht, dass sie etwas gegen die Liebe an sich haben. Umso mehr, als man sich dieses Gefühl hervorragend zunutze machen kann. Liebende lassen sich viel leichter steuern als Menschen, die sich nur um sich selbst sorgen. Dennoch, ich weiß nicht wieso, aber bislang kam eine Liebesbeziehung hier immer einem Todesurteil gleich. Und wenn wir jetzt in diesen Raum eindringen, der offensichtlich nicht für uns bestimmt ist, würde das die Außerirdischen möglicherweise noch mehr herausfordern.«
So war das also.
»Dann entscheide selbst oder beratschlage dich mit Rita«, sagte ich leise und wandte mich ab.
Chris blickte mich für einen Moment schweigend an.
»Dummer Junge«, sagte er dann zärtlich und ein bisschen spöttisch. »Mir und Rita bleibt ohnehin nur noch
wenig Zeit. Wir sind praktisch erwachsen, und Erwachsene haben kein Recht, auf den Inseln zu leben. Ich dachte mehr an dich und Inga, ihr könntet gut und gern noch drei oder vier Jahre überstehen.«
Was hat Inga damit zu tun?, dachte ich empört. Doch dann sagte ich, unerwartet für mich selbst: »Vielen Dank für die Anteilnahme, aber wir hatten eigentlich nicht vor, ohne Widerstand zu kapitulieren. Drei Jahre sind ein zu kurzes Leben, aber zu lange, um sie nur zu überstehen.«
»Dann weck die anderen auf«, schlug Chris vor und wirkte dabei auf seltsame Weise erleichtert.
Der Vorschlag, nach einer Tür zu dem ominösen Raum zu suchen, kam von Tolik. Und er war es auch, der sie schließlich fand. Ein Teil der Wand hob sich vom Hintergrund ab, sie wirkte etwas heller und hatte eine etwas andere Maserung.
Timur und Ilja gingen in den Keller, um Brecheisen zu holen, dort lagen zwei oder drei Stück herum. Seit einer Woche sperrten wir den Keller nicht mehr ab, denn selbst wenn unter uns noch ein Spion der Außerirdischen gewesen wäre, er hätte nichts zu berichten gehabt; die Verschwörung auf der Insel Nr. 36 war vorbei.
Dann machten wir uns daran, die Wand zu durchbrechen. Wir stießen auf mächtige Steine, die zum Glück mit einem minderwertigen
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