Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Rollbahn

Die Rollbahn

Titel: Die Rollbahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
nur erst wieder hier sein!«
    Nun war es soweit. Kunzes Tagesarbeit war es gewesen, sich durch Rundgespräche, die bis nach Orscha zur Division liefen, danach zu erkundigen, wie lange man heute mit einem Urlauberzug von Königsberg bis Orscha braucht. Das rechnerische Ergebnis war, daß Leskau und Strakuweit auf der Achse sein mußten und sich in Höhe von Borrisow befanden.
    Kunze sah aus dem Fenster der Bauernhütte. An der HKL war es still. Gefährlich still. Oberleutnant Faber hatte vor einer Stunde angerufen. »Wir könnten ein Sonnenbad nehmen, so friedlich ist es. Nicht einmal ein Aufklärer … zwischen uns und dem Iwan blühen sogar Blumen!«
    »Simpelmeier!«
    Der Ia-Schreiber schnellte empor. »Herr Hauptfeld?«
    »Ich gehe hinüber zur Feldküche und kontrolliere den Fraß. Wenn jemand anruft, holen Sie mich!«
    »Jawoll!«
    Kunze nahm seine Mütze von einem Nagel, den er in die Holzwand geschlagen hatte und der als Garderobe diente. Er setzte sie auf, kontrollierte mit der flachen Hand, ob die Kokarde richtig saß, an der verlängerten Mittellinie der Nasenwurzel, und stampfte aus dem Zimmer. Simpelmeier seufzte auf und setzte sich wieder. Was macht der bloß, wenn es wirklich einen Rabatz gibt, dachte er.
    In der Scheune, von der nur noch das Dach und zwei Seitenwände standen, arbeitete Feldwebel Müller III mit seiner Feldküche. Die Korrektheit, mit der er seine Portionen verteilte und dem Furier die Gramm Wurst und Butter nachrechnete, war einer der Reibungspunkte mit Kunze. Seit dem Tage, an dem Müller III merkte, daß Kunze von der Kompanieverpflegung eine volle Portion abzweigte und abends nach Dienstschluß in seinem Zimmer heimlich fraß, gab es so etwas wie einen Kleinkrieg innerhalb des Kompanietrosses. Kunze meckerte über das Essen, Müller III buchte korrekt die Abgänge durch Verwundete, Tote oder Urlauber ab, gab nicht mehr Portionen heraus und wog Kunzes Ration vor aller Augen dreimal nach, ehe er sie ausgab.
    »Na?« sagte Hauptfeldwebel Kunze, als er in die Scheune trat und schnuppernd um den Kessel ging. »Was gibt's, Müller III?«
    »Idiotengrütze.«
    »Selbstgemacht?« fragte Kunze wonnevoll.
    Müller III rührte mit einem riesigen hölzernen Löffel in dem dampfenden Kessel.
    »Rezept à la Kunze: Man nehme 4 Pfund große Schnauze, wässere sie in 3 Liter Dummheit, koche sie gar und würze sie mit 300 Gramm Schweinerei und 160 Gramm Gemeinheit. Das Ganze vermenge man mit 5 Pfund geschnitzelter Feigheit … Fertig ist die Sülze!«
    Kunze sah Müller III mit zusammengekniffenen Augen an. Sein Gesicht war starr.
    »Wenn Sie ein Volltreffer trifft, werde ich singen!«
    Müller III nickte. Er schwitzte von den Kochdämpfen und wischte sich mit dem Arm über das Gesicht.
    »Auch das noch! Eine Beleidigung der Musik.«
    Kunze stampfte wütend weiter. Er wandte sich zum Troß, wo drei Schmiede dabei waren, ein Eisenband um ein zerbrochenes Rad zu ziehen. Es gehörte zum Munitionswagen, der vor drei Tagen seitlich der Rollbahn auf einem Feldweg umkippte und mit zerbrochenem Rad liegenblieb.
    »Drei Mann für ein Rad!« brüllte Kunze. Er ließ die drei Schmiede Männchen machen und umging das geflickte Rad. »Welche Verschwendung an Kraft!« Er tippte auf das heiße Bandeisen und verbrannte sich die Finger. »Weitermachen!« schrie er. »In einer halben Stunde fährt der Wagen vor der Schreibstube vor!«
    Welche Bande, dachte er, als er zurück zu seinem Bauernhaus trottete. Damals, in Berlin, da wagte es keiner, ihm zu widersprechen. Da gab es in der ganzen Kaserne nur einen Mann, dessen Wort fast heilig war! Sogar der Herr Major kam zu ihm und fragte ihn: Kunze, wir planen einen Nachtmarsch. Arbeiten Sie ihn aus! – Kunze, teilen Sie die Wache ein! – Kunze, stellen Sie vier Mann Bedienung für das Kasino ab. Aber zuverlässige, verschwiegene Leute! – Später erfuhr Kunze, daß es ein Kasinoabend mit Damen war und der Oberleutnant Pingel von der 3. Kompanie um 3 Uhr nachts, nach Weggang des Kommandeurs, vor den Damen in der Unterhose solo tanzte.
    Ja, Hauptfeldwebel Kunze war unentbehrlich. Vor allem in der Heimat … an der Front war er deplaciert. Er sah das immer mehr ein und kam sich tragisch vor und seelisch vergewaltigt.
    In der Schreibstube stellte Simpelmeier die Liste der verbrauchten Munition zusammen. Kunze trat hinter ihn und las die Zahlen mit.
    »Was?« sagte er. »Vergangene Nacht 700 Schuß MG-Munition und vier leichte Minen? Ja, sind die denn verrückt da vorne.

Weitere Kostenlose Bücher