Die Rose des Propheten 5 - Das Buch der Nomaden
kühlen, schattigen Räumlichkeiten des Tempels durch eine Seitentür.
Auf seinem Thron aus geschnitztem Saksulholz hielt der Imam seinen täglichen Diwan ab. Hinter ihm glitzerte auf einem Podest der goldene Widderkopf des Quar im Licht einer ewigen Flamme, die an seinem Fuß brannte. Rauch hob sich in trägen Spiralen, und wenn die mit Fresken verzierte Decke auch hoch über ihnen hing, war der Geruch des Weihrauchs im abgeschlossenen Audienzsaal des Tempels doch stark und überwältigend. Feisals Soldatenpriester standen am Haupteingang zum Audienzsaal, wo sie die Scharen der Bittsteller in Schach hielten und jedem erst dann Erlaubnis erteilten vorzutreten, wenn der Imam ein Zeichen gegeben hatte.
Obwohl Achmed sich im Schatten hielt, hatte er den gespenstischen Eindruck, daß Feisal um seine Anwesenheit wußte; er hätte sogar beschwören können, daß sich die lodernden dunklen Augen mit ihrem stechenden Blick auf ihn geheftet hatten, als er wegschaute. Doch wann immer Achmed den Priester gemustert hatte, schien sich die Aufmerksamkeit des Imam ausschließlich auf den vor ihm knienden Bittsteller zu richten.
Welche Faszination zieht mich hierher? Achmed wußte es nicht zu sagen, und jeden Tag gab er sich das Versprechen, nicht wieder zurückzukehren. Und doch fand er sich am nächsten Tag dann wieder, wie er die Stufen hinaufstieg und so regelmäßig durch die Seitentür hineinschlüpfte, daß sich die Wachen schon an seine Besuche gewöhnt hatten und einander nicht einmal mehr mit hochgezogenen Augenbrauen anblickten, wenn Achmed an ihnen vorbeischritt.
Der junge Soldat nahm seine übliche Stellung ein, gegen eine zerborstene Säule nahe der Seitentür gelehnt; eine Stellung, von wo aus er sehen und hören konnte, ohne jedoch selbst gesehen und gehört zu werden. Heute jedoch erblickte Achmed zu seiner Bestürzung jemanden neben seiner Säule. Nachdem sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte der junge Mann den anderen ausmachen, und das Blut stieg ihm ins Gesicht. Er wollte sich mit einer Verneigung zurückziehen, als Qannadi ihm bedeutete näherzutreten.
»Hier verbringst du also den Morgen, da du doch eigentlich draußen sein solltest, um die Reiterei zu drillen.« Der Emir sprach leise, obwohl das Gemurmel der wartenden Bittsteller es unwahrscheinlich machte, daß man ihn vernommen hätte.
Achmed wollte etwas erwidern, doch seine Zunge wirkte wie geschwollen. Als er das Unbehagen des jungen Manns bemerkte, lächelte Qannadi matt. Achmed stellte sich neben den General.
»Bist du zornig, Herr? Die Reiterei kommt gut ohne mich zurecht…«
»Nein, ich bin nicht zornig. Die Männer haben alles gelernt, was du ihnen beigebracht hast. Ich drille sie nur, damit sie wachsam bleiben und bereit für das…« Der Emir machte eine Pause und musterte Achmed streng. »…für was immer noch kommen mag.«
Jetzt war es Qannadi, der errötete. Der General wußte, daß die nächste Schlacht gegen das Volk des Jungen geführt werden könnte. – gegen Achmeds Volk. Sein Blick fuhr von Achmed hinüber zu dem Imam. Dies war ein Thema, über das keiner der beiden jemals sprach, obwohl es ihnen folgte wie aasfressende Vögel einem Heerzug.
Der Emir hörte, wie die Schnallen an der Lederrüstung des jungen Mannes klimperten, als Achmed sich unruhig bewegte.
»Warum läßt du den Imam nicht diesen häßlichen Ort niederreißen, Herr?« fragte Achmed gedämpft, wobei seine Stimme von dem schrillen Streit zweier Männer überdeckt wurde, die einander beschuldigten, beim Verkauf eines Esels betrogen zu haben. »In dieser Stadt gibt es nicht das leiseste Anzeichen für einen Aufruhr. Schau doch, sieh dir das an!«
Mit einem Nicken wies der junge Soldat in die Richtung der beiden Männer. Quar allein mochte wissen, wie, dachte Qannadi mit einer gewissen Bewunderung, aber Feisal hatte den Streit offensichtlich zur Zufriedenheit beider Parteien beigelegt, wenn man nach dem Lächeln ging, das ihre Gesichter zeichnete, als sie sich wieder von dem Priester entfernten.
»Diese Leute verehren ihn!«
»Denk mal darüber nach, was du gerade gesagt hast, mein Sohn, dann wirst du es begreifen«, erwiderte der Emir, als der Imam auf seinem Thron eine gebrechliche Hand zum Segen Quars hob.
»Natürlich hast du recht«, fuhr Qannadi fort. »Feisal könnte die ganze Stadt über ihren Köpfen einreißen, Stein und Stein, und die Bürger würden ihm immer noch ihren Dank zurufen. Mit Worten hat er den Mord in einen Segen
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