Die Rose des Propheten 5 - Das Buch der Nomaden
verwandelt. Sie haben ihn gepriesen, als er ihre Freunde abschlachtete, ihre Nachbarn, ihre Verwandten. Gepriesen, weil er die Seelen der Unwürdigen errettete! Stellen sie sich etwa in einer Reihe auf, um mir ihre Sorgen vorzutragen, auf daß ich Gericht spreche? Bin nicht ich der Herrscher über diese armselige Stadt, vom Kaiser dazu ernannt? Nein, sie gehen mit ihren Geschäften, ihrem Streit mit ihren Frauen und ihrem Zank mit den Nachbarn zu ihm.«
»Und würdest du es lieber anders haben, mein Gebieter?« fragte Achmed sanft.
Qannadi warf ihm einen scharfen Blick zu. »Nein«, gestand er nach einer Weile. »Ich bin Soldat. Ich bin nie etwas anderes gewesen und habe mir auch nichts anderes angemaßt. Niemand wird dankbarer sein als ich, wenn der Statthalter des Kaisers eintrifft, um diese Stadt zu übernehmen und wir nach Kich zurückkehren können. Doch bis dahin muß ich dafür Sorge tragen, daß wir überhaupt noch eine Stadt haben, die wir ihm übergeben können.«
Achmed riß die Augen weit auf. »Der Imam würde doch bestimmt nicht…« Er zögerte weiterzusprechen. Der Gedanke allein war schon gefährlich genug.
Qannadi sprach ihn aus. »…dem Kaiser trotzen?« Der Emir zuckte mit den Schultern. »Quars Macht im Himmel wächst. Ebenso die Zahl der Anhänger des Imams. Wenn Feisal es wollte, könnte er mein Heer noch heute spalten, und das weiß er auch. Allerdings wäre es nur eine Spaltung. Er könnte sich nicht der Treue der gesamten Streitmacht versichern. Noch nicht. Vielleicht in einem Jahr, vielleicht in zwei. Es gibt nichts, was ich tun könnte, um ihn daran zu hindern. Und wenn dieser Tag gekommen ist, wird Feisal triumphierend in die Hauptstadt von Khandar einmarschieren, gefolgt von Millionen von Fanatikern. Nein, wenn ich der Kaiser wäre, würde ich nicht sorglos auf meinem Thron sitzen. Aber Junge, was ist denn los?«
Achmeds Gesicht war bleich, gespenstisch in der schattigen Dunkelheit. »Und du?« fragte er mit krächzender Stimme. »Was wirst… er würde doch wohl keinen…«
»… Mord begehen? Im Namen Quars? Haben wir das etwa nicht schon mitangesehen?« Qannadi legte dem jungen Mann eine tröstende Hand auf die Schulter. »Fürchte dich nicht. Dieser alte Hund ist zu klug, um Fleisch aus Feisals Hand entgegenzunehmen.«
Das stimmte – eine einfache Vorsichtsmaßnahme. Qannadi aß und trank niemals etwas, das nicht zuvor von jemandem gekostet worden war, den man gut dafür bezahlte, daß er die Gefahr, vergiftet zu werden, auf sich nahm. Aber ein Messerstich von hinten – dagegen war niemand gefeit. Und es wäre mit Sicherheit das Werk eines einsamen Fanatikers. Niemand würde sich mehr über ein Attentat empören als Feisal selbst.
»Es ist nicht unehrenhaft, im Kampf gegen Gott aufzugeben«, fuhr Qannadi fort und log dabei, um die Befürchtungen des Jungen zu beschwichtigen. »Wenn der Tag kommt, da ich mich geschlagen sehe, werde ich meine Khurjin packen und davonreiten. Vielleicht gehe ich nach Norden, zurück ins Land der Großen Steppe. Dort wird man schon bald Soldaten brauchen…«
»Würdest du allein gehen?« fragte Achmed atemlos.
Ja, Junge. So Gott will, gehe ich allein.
»Nicht, wenn es jemanden gibt, der die Entbehrungen mit mir teilen will«, erwiderte Qannadi. Als er Achmeds Freude erblickte, hellte ein echtes Lächeln die düsteren Züge des Emirs auf. Doch das Lächeln verschwand schnell wieder, wie die Sonne, die einen Augenblick lang schien, bevor die Gewitterwolken ihre Strahlen verbannten. »In mancherlei Hinsicht freue ich mich darauf, die Verantwortung los zu sein«, sagte er mit leisem Seufzen. »Aber ich fürchte, diese Zeit wird noch lange auf sich warten lassen. Lange für uns alle.«
Weiß der Junge, welches Grauen ihm bevorsteht? Begreift er wirklich die Bedrohung seiner selbst und seines Volks? Ich habe ihn bis auf den Namen so gut wie als Sohn adoptiert. Ich kann ihn schützen, werde ihn schützen, mit aller Macht, die mir noch geblieben ist. Aber sein Volk kann ich nicht retten.
Qannadi bedauerte es nicht, die Nomaden angegriffen zu haben; das war eine vernünftige militärische Entscheidung gewesen. Er hätte nicht mit ungeschützter rechter Flanke gen Süden auf Bas marschieren können, während Tausende dieser wilden Wüstenkämpfer nach seinem Blut dürsteten. Doch bedauerte er es tatsächlich, sich dem Plan des Imams gefügt zu haben, die Leute in die Stadt zu bringen und sie dort als Geiseln zu halten. Es wäre viel besser gewesen,
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