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Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Titel: Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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welcher die Betende gekniet hatte, bückte sich nieder und löste ein kleines, weißblühendes Blümchen vom Rasen ab. Lange und sinnend betrachtete er die zarte, unscheinbare Pflanze; weich und weicher wurden die Züge, welche vorher so ernst und streng gewesen waren; mild und milder blickte das Auge, und warm und innig klang die eben erst so gebieterische Stimme.
    »Augentrost! Sollte das ein Zeichen des Himmels sein für mich und für sie, die des Trostes für ihr schönes, krankes Auge so sehr bedarf? Ist es möglich, daß ich hier im wilden Tann das finde, was ich als Erfüllung meines besten und höchsten Erdenwunsches im Lichte der Candelaber vergebens suchte, ein Herz, an welches ich mein ermüdetes Haupt vertrauensvoll betten darf am Abende eines jeden Tages und am Abende auch des Lebens? Ich fühle, daß diese Stunde über mich entschieden hat und werde ihrem Rufe folgen so bald und so viel es mir die Schwierigkeit meiner Aufgabe gestattet. Aber wer ist sie?«
    »Wenn Ihr das Mädchen meint, welches hier gesessen hat, so kann ich es Euch schon sagen, weil ich sehe, daß Ihr ein tüchtiger Kerl seid, dem man Auskunft geben kann«, ertönte da eine zwar rauhe, aber nicht unangenehme Stimme neben ihm.
    Es war der Waldhüter, welcher nicht fortgegangen war, sondern von Weitem den Verlauf des erzählten Vorganges beobachtet hatte.
    »Wer seid Ihr?« fragte der junge Mann kurz.
    »Ich heiße der Jägerfranz und bin Forstwart hier.«
    »Wer ist der Mann, welcher vorhin mit Euch war?«
    »Das kann ich nicht sagen. Wir nennen ihn den ›Junker‹ oder auch den ›Blauweißen‹, seiner Kleidage wegen nämlich. Er ist vom Hofe den umliegenden Förstern empfohlen und geberdet sich, als sei er in unsern Waldungen auf seinem eigenen Gebiete. Er ist bald hier, bald dort, am meisten aber in Ernstthal, wo er nach hübschen Dirnen äugt. Am liebsten spielt er den Forstherrn, maltraitirt die untern Beamten und tritt den armen Frauen, welche Leseholz suchen, die Körbe entzwei. Deshalb mag ihn auch Niemand leiden, zumal er in dem Verdachte steht, für die Seelenverkäufer zu arbeiten, welche die jungen Leute wegfangen und gegen die Preußen schicken.«
    »Und Ihr laßt Euch geduldig von ihm turbiren?«
    »Was will man machen gegen einen Menschen, der unter hohem Schutze steht und dessen Körperstärke es ihm gestattet, ein Dutzend Leute gewöhnlichen Schlages in den Salat zu treten? Er drückt sich, trotzdem er ein Edelmann zu sein scheint, in allen Ecken und Winkeln herum, und wo ein Pärchen steht oder eine Fiedel gestrichen wird, da ist er zu sehen und fährt mit dem Stocke dazwischen, wenn’s nicht nach seinem Willen geht.«
    »Gut, und wer ist das Mädchen von vorhin?«
    »Sie ist die Tochter einer Nähterin und wohnt in Ernstthal beim Schmiedemeister Weißpflog auf der Obergasse.«
    »Das genügt. Hier habt Ihr eine kleine Gratification für Eure Mittheilung. Nicht wahr, Ernstthal liegt hinter jener Anhöhe?«
    »Ja, Ihr geht noch ein paar Schritte gradaus durch den Busch und dann führt die Straße rechts fort in die Stadt.«
    »Adieu!«
    »Adieu; dank schön für das Geschenk!«
    Der Forstgehülfe blieb stehen und betrachtete erstaunt das Geldstück, welches er erhalten hatte.
    »Blitz noch einmal, das ist ja Gold, schönes, blankes, gelbes Gold, wie ich es mein Lebtage noch nicht im Beutel gehabt habe! Wer ist denn eigentlich dieser Mann, der trotz seiner zerrissenen Stiefeln vor mir gestanden hat wie ein Graf, dem man nur antworten muß, wenn er fragt? Das muß ich in Obacht nehmen, denn heut zu Tage, wo sie sich da draußen an allen Ecken und Enden auf Tod und Leben herumschlagen, passiren Dinge, die in ruhigen Zeiten nicht gäng und gäbe sind. Aber er mag sein wer er will, ein Hauptkerl ist er, und gefallen hat er mir, wahrhaftig sehr gefallen, wie er den ›Blauweißen‹, an den sich unserer Zehn nicht getrauen, so köstlich abgeblitzt hat!«
2.
Vor der Schmiede
    Es war für Sachsen eine böse Zeit. Minister von Brühl, der Lenker der damaligen sächsischen Politik, hatte Kurfürst August III. vermocht, trotz des Breslauer Friedens mit seiner früheren Feindin Maria Theresia ein Bündniß gegen den Preußenkönig Friedrich II. einzugehen, in welchem er versprach, die Waffen nicht eher niederzulegen, als bis der König Schlesien herausgegeben habe und auf seine »märkische Streusandbüchse« beschränkt sei. Aber wie schon früher, so hatte man auch jetzt sich in dem jungen, thatenlustigen Herrscher geirrt,

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