Die Rosen von Montevideo
darauffolgenden Barrikadenkämpfe viele Menschenleben gekostet hatten. Auch andernorts herrschten bürgerkriegsähnliche Zustände, und Albert war sich sicher: Das Chaos würde die Revolution nicht weiterbringen. Am Ende würde sie vielmehr von den preußischen und österreichischen Truppen gewaltsam niedergeschlagen werden.
Als eigentliche Katastrophe empfand er, dass die Verhandlungen in der Paulskirche stagnierten, jedwede Debatte in einem zermürbenden Kleinkrieg endete und selbst wohlwollende Zeitgenossen von einem »Tollhaus« sprachen. Die Zukunft, die sich alle Freigeister eben noch so rosig ausgemalt hatten, war düster geworden, die rot-goldenen Fahnen, Sinnbilder der Einheit und Freiheit Deutschlands, verschwanden wieder aus dem Stadtbild.
Albert wusste noch nicht, welche Auswirkungen das Scheitern der Revolution auf seine Bankgeschäfte haben würde – mit Schaden war in jedem Fall zu rechnen. In der allgemeinen Euphorie war mehr Geld ausgegeben worden, er selbst hatte großzügige Kredite gewährt – und konnte nun nicht darauf zählen, ob sie ihm zurückgegeben werden würden.
Seine Schritte verlangsamten sich. Vor dem Bankhaus stand wie immer eine Kutsche für ihn bereit, aber anstatt sie zu besteigen, zog er es vor, in einer Apfelweinkneipe nahe dem Römer einzukehren. Hier hatte er bis vor kurzem noch eifrige Debatten geführt und sich mit Fremden verbrüdert, heute hockte ein jeder schweigend am Tisch. Nun, zumindest war er von Gleichgesinnten umgeben, die seine Sorgen um die Zukunft teilten – ganz anders als zu Hause. Mit Rosa konnte er nicht darüber reden, Rosa durfte er schließlich nicht aufregen, sie bekam ein Kind. Zumindest redete ihm seine Mutter ständig ein, er müsse sie schonen. Eigentlich hatte er das Gefühl, dass sie nicht sonderlich schwer an ihrer Leibesfülle schleppte – zumindest nicht so schwer wie an trübseligen Gedanken, die ihr Gemüt verdunkelten. Schon in der Zeit des Optimismus hatte er ihre vielen Tränen und Vorwürfe kaum ertragen können, und jetzt floh er erst recht bei jeder Gelegenheit aus dem Haus. Das schlechte Gewissen ihr gegenüber begleitete ihn wie ein steter Schatten, aber er hatte sich längst daran gewöhnt und es nach einigen Schluck Apfelwein betäubt. Bald würde alles besser sein, dachte er sich, bald würde er einen Sohn haben und in die Zukunft blicken ohne Bedauern über das, was in der Vergangenheit schiefgelaufen war. Bald würde wieder Aufbruchsstimmung herrschen – nicht in der Welt, aber in seiner Bank …
Es war schon finster, als er die Kneipe endlich verließ. Auf dem Weg zurück zum Bankhaus und während der anschließenden Kutschfahrt begleitete ihn ein leichter Druck auf den Schläfen. Er hoffte, sich bald ins Bett zu legen, und als er zu Hause ankam, wanderte sein Blick unwillkürlich nach oben zu Rosas Schlafzimmer. Gottlob war es dahinter schon dunkel! Er hatte seine Heimkehr also lange genug hinausgezögert.
Albert erwartete, das übrige Haus ebenso still vorzufinden, doch der Salon war hell erleuchtet. Zu seiner Überraschung sah er seine Mutter dort sitzen, zwar schon mit Schlafhaube auf dem Kopf, aber erstaunlich wach und erregt.
»Mutter …«
Adele wirkte fassungslos. »Man muss es sich nur vorstellen!«, stieß sie aus, als sie seiner ansichtig wurde. »Auf dem Boden des Gartenpavillons! Wie beschämend! Und dass sie es überhaupt überlebt hat … ja, dass es so schnell gegangen ist!« Immer wieder schüttelte sie den Kopf.
Albert verstand zunächst kein Wort, aber dann kam das Hausmädchen Else mit roten Wangen auf ihn zugestürzt. »Herr Gothmann, Herr Gothmann! Ist es nicht ein großes Glück, dass Monsieur Ledoux sie rechtzeitig gefunden hat?«
Albert verstand sie nicht recht, aber dann vernahm er ein quäkendes Geräusch aus dem Nebenzimmer und begriff endlich, dass Rosa das Kind geboren hatte. Er schüttelte seine Starre ab und stürzte in den Empfangsraum. Rosa lag dort auf einem schmalen Sofa. Ihr Kleid war voller Flecken aus Blut, Wasser und Erde, ihre Haare waren aufgelöst, die Wangen gerötet, und ihre Augen glänzten zum ersten Mal seit langem. Das Kind hatte dicke, schwarze Haare, war mit gelbem Schleim bedeckt und schmatzte an ihrer Brust.
Es war ein befremdlicher Anblick – Frauen ihres Standes hatten doch Ammen!
»Rosa …«
Sie blickte lächelnd hoch.
»Sieh doch nur – unser Kind!«
»Ein Sohn?«, fragte er hoffnungsvoll. »Ist es ein Sohn?«
Sie lächelte. »Nein, eine
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