Die Rosen von Montevideo
als sich ihr Leib mehr und mehr rundete, vergingen die Beschwerden, wenngleich sie sich lange Zeit nicht wirklich wohl in ihrer Haut fühlte. An manchen Tagen blieb sie im Bett liegen – nicht, weil Schwäche sie dazu zwang, sondern weil sie keine Idee hatte, wie sie die Zeit totschlagen sollte. Manchmal stand sie stundenlang am Fenster, blickte in den Garten und sah Else zu, wie sie in der Erde wühlte.
Anders als früher kam Adele nun öfter zu ihr ins Zimmer und brachte ihr heiße Schokolade oder an wärmeren Tagen Limonade. Sie erwies sich stets als fürsorglich, deckte sie zu und fragte besorgt, wie es ihr ging. Offenbar wollte sie gerne hören, dass die Schwangerschaft Rosa zu schaffen machte, denn sie erklärte selbst immer wieder, mit wie viel Leid dieser Zustand verbunden sei. Wenn Rosa ihr zu widersprechen wagte und meinte, dass die Übelkeit der ersten Monate schon lange nachgelassen hatte, wirkte Adele fast ein wenig enttäuscht und malte ihr mit umso eindringlicheren Bildern aus, wie schrecklich schmerzhaft eine Geburt sei. Sie selbst, so schloss sie, wäre bei beiden fast umgekommen.
Rosa lauschte entsetzt – nur einmal meinte sie nüchtern: »Aber du hast überlebt.«
Adele zuckte zurück, als wäre sie schlimm beleidigt worden. »Das war eine Gnade Gottes, keine Selbstverständlichkeit, auf die man zählen kann.«
Als sie gegangen war, wandte Rosa sich ängstlich an Espe: »Ist es wirklich so schlimm, wie sie sagt?«
»Wenn man kein zu schmales Becken hat und bei guter Gesundheit ist, ist es das Normalste der Welt, ein Kind zu gebären.«
»Aber meine Mutter ist doch auch daran gestorben.«
»Du kommst mehr nach deinem Vater. Am besten, du denkst nicht daran.«
Aber sie konnte gar nicht anders, als daran zu denken. Die Angst, das gleiche Schicksal wie Valeria Olivares zu erleiden, war groß, aber noch größer war manchmal das Entsetzen, dass sich zu dieser Angst die Sehnsucht gesellte, zu sterben, nicht mehr da zu sein, sich nicht mehr langweilen zu müssen, nicht mehr ständig auf Albert zu warten …
Gewiss, er war sehr liebevoll zu ihr, aber ihre Schwangerschaft hatte nichts daran geändert, dass er tagsüber im Bankhaus war. Und selbst in den Nächten kam er nun nicht mehr zu ihr. Er war derselben Meinung wie seine Mutter – dass Schwangere der unbedingten Schonung bedürften, als wären sie aus Porzellan. Wahrscheinlich teilte er auch Adeles Meinung, was ein zu vertrauliches Verhältnis zu den Dienstboten anbelangte. Rosa hatte ihn zwar nie danach gefragt, aber sie konnte sich noch gut an seinen peinlich berührten Gesichtsausdruck erinnern, als sie von Antonie bloßgestellt worden war. Diesen wollte sie nie wieder erleben – und indem sie sich zurückzog und von allen abschottete, machte sie nichts falsch.
Dem gesellschaftlichen Leben konnte sie sich leider nicht ganz entziehen. Schwangere Frauen gingen zwar nicht aus, hatten aber doch manchmal im Namen ihrer Ehemänner Abendeinladungen auszusprechen, zumindest solange sie den gerundeten Leib unter den Falten üppiger Kleider verstecken konnten.
Für Rosa waren diese Anlässe eine Qual. Sie hielt es nur schwer aus, ruhig zu sitzen und ebenso endlosen wie langweiligen Gesprächen zu lauschen. Immer ging es um Politik, in welche Richtung sich die Revolution entwickelte und wer am Ende überlegen war: die bürgerlich-demokratischen Bewegungen oder die Heilige Allianz. Am Ende stand meist die Frage, ob es zum Bürgerkrieg kommen würde, wo er am frühesten auszubrechen drohte und wie er sich verhindern ließe. Rosa wollte nichts von Kriegen hören und war froh, dass die Schwangerschaft einen Vorwand bot, sich früh zurückzuziehen oder später gesellschaftliche Zusammenkünfte wie diese ganz zu meiden.
Wie es Antonie in der Schwangerschaft ging, wusste sie nicht. Schon zu deren Beginn hatte diese verkündet, dass ihr die Landluft nicht bekäme. Da es ihr im Frankfurter Stadthaus allerdings zu einsam wurde, reiste sie nach Hamburg, wo Carl-Theodor offenbar eine Dependance seines Handelsunternehmens eröffnet hatte, was, wie Albert Rosa erklärte, für internationale Beziehungen unabdingbar war.
Rosa war erleichtert, Antonies Gesellschaft zu entgehen. Anders als diese hatte ihr Klavierlehrer Fabien Ledoux das Haus jedoch nicht verlassen, wie sie eines Tages feststellte. Beschämt fiel ihr ein, dass sie ihm seit dem Vorfall in der Speisekammer nie ihren Dank ausgesprochen hatte. Das tat sie jetzt umso überschwenglicher und
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