Die Rosen von Montevideo
die sie ohnehin schon seit Jahren nicht mehr gesehen hatte, als vielmehr der Tatsache, dass sie nun niemandem mehr vorlügen konnte, wie glücklich sie war.
Immerhin – trotz aller Schwermut weinte sie weniger als früher und schon gar nicht in Alberts Nähe. Sie wollte ihm nicht zur Last fallen, nun, da er ständig in Gedanken versunken war und mit Sorgenfalten von schweren wirtschaftlichen Zeiten sprach. Weiterhin besuchten sie Soireen, Bälle und Nachmittagsrunden – aber die Gerichte, die dort aufgetischt wurden, und die Kleider, die die feinen Frauen trugen, waren schlichter als früher, die Gesichter ernster und die Gespräche pessimistischer.
Rosa war das gleich; sie verstand ohnehin nicht, worüber da gesprochen wurde, und war lediglich erleichtert, dass sie – nun, da andere Themen zählten – nicht länger verspottet oder als Exotin begafft wurde. Sie war Alberts stummer Schatten, an den man sich irgendwann gewöhnt hatte, zumal Antonie zu selten hier war, um sich mit ihren Freundinnen über sie lustig zu machen. Sie erklärte, dass ihr das Klima in Hamburg besser bekomme, lebte dort auch, wenn Carl-Theodor in Übersee war, und ließ die Tochter nur allzu gern im Taunus zurück – was Rosa zunächst empörte, jedoch insgeheim immer besser verstand, je häufiger sie selbst Valerias Nähe mied. War Antonie mal nicht in Hamburg, hielt sie sich bei ihrer Familie in Frankreich auf, obwohl sie bis jetzt meist sehr abfällig über diese gesprochen hatte. Auch das erweckte zunächst Rosas Unverständnis, bevor sie sich eingestand, dass auch sie, die Alejandro so gehasst hatte, weil er sie mit Ricardo del Monte hatte verheiraten wollen, und Julio immer als schrecklich langweilig empfunden hatte, sich nun nach ihnen sehnte. Vielleicht sehnte sie sich gar nicht nach Vater und Bruder – vielmehr danach, das junge, unbedarfte Mädchen zu sein, das sie in ihrer Obhut gewesen war.
Dieses Mädchen, fröhlich und lebenshungrig, schien tot – zumindest bis zu einem Tag, da sie einmal mehr die Rothschilds besuchten. Sie hielt wie immer ihren Kopf gesenkt und ging ein paar Schritte hinter Albert her. Während niemand das Wort an sie richtete, fragte man ihn nach dem Wohlbefinden seiner Mutter, die schon seit längerer Zeit das Haus nicht verlassen hatte, erkundigte sich nach Carl-Theodor und gratulierte zum offenbar erfolgreichen Kolonialhandel, den dieser betrieb.
Die Gespräche plätscherten dahin, Rosa hörte gar nicht zu. Wenn nur der Abend schon vorbei wäre, wenn sie nur wieder in ihrem Bett liegen würde, wenn nur …
Plötzlich hob sie den Kopf. Sie war zunächst nicht sicher, welcher Laut sie da aus den Gedanken gerissen hatte, aber dann vernahm sie deutlich die herrlichen Klänge eines Klaviers, melodisch und mitreißend. Schon lange war dergleichen nicht mehr im Haus der Gothmanns erklungen. Antonie war zu selten da, um sich im Spiel zu üben, und Adele zu oft im Bett, um der Musik zu lauschen. Hier nun aber spielte ein Pianist voller Leidenschaft – und es war kein Fremder.
Albert schien nicht zu bemerken, dass Rosa sich von ihm entfernte und förmlich auf den jungen Mann zustürzte.
»Monsieur Ledoux?«, rief sie.
Er brach sein Spiel ab, blickte auf und errötete leicht, als er sie erkannte. Ob er daran dachte, wie sie hilflos in den Wehen vor ihm im Gartenhaus gelegen hatte?
Erstaunlicherweise beschämte sie selbst diese Erinnerung nicht. Zwar hatte sie in den letzten Jahren nie an den Musiker gedacht, aber nach allem, was sie gemeinsam durchgestanden hatten, fühlte sie sich ihm so nahe, als wären sie alte Freunde. »Sie sind wieder in der Stadt?«, fragte sie.
»Genau genommen bin ich nie weg gewesen. Ich habe vielen Damen hier in Frankfurt Gesangsunterricht gegeben. Leider waren sie alle nicht sehr begabt.« Er zwinkerte ihr vertraulich zu und schien nicht länger verlegen zu sein.
Rosa musste lachen, obwohl sie nicht recht wusste, warum. »Ich dachte, Sie wären nach Paris zurückgekehrt, nachdem meine Schwägerin Antonie keinen Unterricht mehr bei Ihnen nahm.«
»Soll ich Ihnen etwas verraten?«, er beugte sich vor. »Auch sie war nicht besonders begabt fürs Klavierspielen und ihre Stimme nicht die beste.«
Rosa lachte wieder, ein frischer, heller Laut, der fremd in ihren Ohren klang. Sie spürte neugierige Blicke auf sich ruhen, ignorierte sie jedoch.
»Sie hingegen singen sicher vorzüglich«, meinte Fabien Ledoux.
»O nein!«, stritt sie heftig ab.
»Haben Sie es denn je
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