Die Rosen von Montevideo
Gartenpavillons, wo sie zumindest vom aufziehenden Wind geschützt sein würde.
Bei der nächsten Welle kam nur ein Keuchen über ihre Lippen. Die Angst vor dem Tod, die sie die ganze Schwangerschaft über begleitet hatte, kämpfte gegen ihren Willen, zu leben und ein gesundes Kind zu gebären, und Letzterer war stark genug, um sämtliche Kraft zu nutzen und um Hilfe zu rufen.
»Bitte … helft mir! So helft mir doch!«
Es ertönte keine Antwort, nur der eigene Atem und das Knirschen ihrer Schritte war zu hören, als sie sich dem Gartenpavillon näherte. Endlich hatte sie ihn erreicht, und sie wollte die Holztür öffnen. Doch die war verschlossen, auch ein verzweifeltes Rütteln änderte nichts daran. Erschöpft brach sie davor nieder.
»Hilfe! So helft mir doch!«
»Frau Gothmann! Um Gottes willen!«
Der Schmerz, der sie übermannte, war so absolut, dass sie nicht erkannte, aus welcher Richtung die Stimme und die Schritte kamen. Jemand beugte sich über sie, strich ihr über die Stirn. Nur mit Mühe öffnete sie die zusammengekniffenen Augen und blickte in ein ebenmäßiges Gesicht.
»Fabien …«
»Frau Gothmann.«
»Ich bekomme das Kind … viel schneller als erwartet … Espe …«
»Ich hole Hilfe!«
»Nein!« Sie klammerte sich an seine Hand. »Lassen Sie mich nicht allein.«
Sie sah deutlich die Verlegenheit im Gesicht des Musikers. Wahrscheinlich hatte er wie sie einen Spaziergang durch den herbstlichen Garten gemacht.
»Ich weiß doch nicht, was ich tun soll«, stammelte er.
»Die … Tür … klemmt …«, stieß sie heiser hervor.
Er nickte und schob sie ein wenig zur Seite. Dann nahm er Anlauf und warf sich gegen das Holz. Ein Knirschen erklang, dann ein Schmerzenslaut. Er war ganz offensichtlich kein Mann, der seine körperlichen Kräfte häufig nutzte.
Immerhin, die Tür gab nach, doch der Raum dahinter war völlig leer. Nicht einmal eine Bank stand darin. Rasch schlüpfte Fabien Ledoux aus seinem Mantel und breitete ihn auf dem steinernen Boden aus.
»Und jetzt?«, fragte er.
Sie hatte keine Ahnung, was nun passieren würde und wie er ihr helfen konnte. Espe hatte ihr einiges über die Geburt erzählt, aber selbst wenn sie sich alles gemerkt hätte, waren ihre Gedanken vor Schmerz wie gelähmt.
»Soll ich nicht doch …«
»Nein!«, schrie sie.
Sie umklammerte seinen Arm und hörte zu ihrer Erleichterung weitere Schritte. Wenig später kniete Espe neben ihr. Ob der Zufall sie hierhergeführt hatte oder eine dunkle Ahnung, das würde sie nie erfahren.
»Gott sei Dank …«, stammelte Rosa.
Espe wusste, was zu tun war; sie würde ihr helfen, das Kind heil zur Welt zu bringen, sie würde nicht sterben müssen.
»Ich könnte einen Arzt holen«, schlug Fabien Ledoux vor.
Rosa hielt seine Hand nach wie vor fest. »Bleiben Sie«, forderte sie ihn zum dritten Mal auf.
Auch mit Espe an ihrer Seite fühlte sie sich hilflos und ausgeliefert wie nie zuvor und war dankbar für jeden, der ihr in der Stunde beistand, in der sie ihr erstes Kind gebar.
Albert ging durch Frankfurt, und mit jedem Schritt, den er zurücklegte, wurde ihm das Herz schwerer. Das heiße Glücksgefühl, das ihn vor einigen Monaten erfasst hatte, galt es nun teuer zu bezahlen – mit einer Enttäuschung, die tiefer ging, als er erwartet hatte. Hätte er sich bloß weniger auf die Anspannung, die Aufbruchsstimmung und Begeisterung eingelassen, die er vor kurzem noch mit allen Menschen in den Gassen und Wirtshäusern geteilt hatte! Hätte er ein wenig mehr Nüchternheit und Besonnenheit an den Tag gelegt! Hätte er sich nur keine Illusionen gemacht! Dann würde er heute nicht darunter leiden, dass sich ein dunkler Schatten über die Stadt gelegt hatte.
Seine Bankgeschäfte nahmen zwar weiterhin ihren Lauf, aber die Hoffnung auf mehr Demokratie und Bürgerfreiheiten hatte sich nicht erfüllt, und obwohl er kein Politiker war, wurde er das Gefühl nicht los, gescheitert zu sein.
Eigentlich hatte es gut begonnen: Jede Zensur wurde gesprengt, Journale schossen wie Pilze aus dem Boden, und in diesen neuartigen Frankfurter Presseerzeugnissen fanden viele liberal-demokratische Ideen Ausdruck. Doch nach jenen rasch erkämpften Errungenschaften, zu denen auch die Bauernbefreiung zählte, geriet die revolutionäre Bewegung seit Mitte des Jahres zunehmend in die Defensive. Der endgültige Niedergang hatte vor mehr als einem Monat begonnen, als zwei Abgeordnete der Nationalversammlung ermordet worden waren und die
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