Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin
Klippen wandern, wir werden im Sand sitzen und uns vom Mond bescheinen lassen, und vielleicht werden wir im Meer baden und...«
Beatrice lachte. »Das geht doch nicht. Das wäre viel zu gefährlich. «
»Natürlich geht es. Wir werden vorsichtig sein, und niemand wird uns sehen.«
»Aber nach der Sperrstunde darf niemand mehr hinaus. Vor der Küste kreuzen deutsche Boote. Wir würden bestimmt auffallen. Die Nächte sind Anfang September nicht mehr so hell wie jetzt, aber...«
»Aber?«
»Wir sollten es nicht tun«, sagte sie ohne jede Überzeugung.
Er war mit zwei Schritten neben ihr, zog sie vom Stuhl hoch und schloß sie in die Arme. So nah war er ihr noch nie gekommen.
»Wir sollten es tun«, sagte er leise. »Es hat keinen Sinn, immer nur in Angst zu erstarren. Laß uns einfach einmal etwas Verrücktes, Wildes, Gefährliches unternehmen!«
Sie schüttelte noch immer den Kopf, aber ihr Widerstand war längst in sich zusammengefallen. Und wenn sie wahnsinnig werden würde vor Angst - es wäre besser, als die Nacht daheim, am Fenster stehend, zu verbringen, in den samtschwarzen Himmel zu schauen, auf die Laute im Gras und in den Bäumen zu lauschen und zu denken, was hätte sein können, wäre sie nur ein wenig mutiger gewesen.
3
»Er wurde mein Liebhaber in der Nacht meines 14. Geburtstages«, sagte Beatrice, »und er blieb es für einige Jahre. Ich war überzeugt, nie wieder jemanden so lieben zu können wie ihn. In diesem Alter ist die Liebe entsetzlich intensiv. Sie zieht einem den Boden unter den Füßen weg. Ich konnte nur noch an Julien denken, Tag und Nacht. Manchmal kam mir der Gedanke, ich müßte mich mehr um meine Eltern sorgen, und dann hatte ich ein ziemlich schlechtes Gewissen. Aber es half nichts. Ich war verliebt in Julien, und ich war strahlend glücklich. Trotz Krieg und allem Schrecken. Ich fühlte mich überwältigt vor Glück.«
»Und niemand hat Sie in dieser Nacht gesehen?« fragte Franca. Beatrice schüttelte den Kopf. »Die Nacht war klar und sehr hell. Wir liefen über die Klippen, und bestimmt waren wir weithin sichtbar. Aber irgendwie hatten wir wohl das Glück auf unserer Seite. Es geschah nichts. Die Deutschen ließen uns in Ruhe bis zum Morgengrauen. «
»Eine romantische Geschichte«, sagte Franca, und Beatrice entgegnete: »Manchmal denke ich, es sind die harten Zeiten, die die romantischen Geschichten hervorbringen. Man wagt höhere Einsätze für das, was man dann bekommt.«
Sie saßen immer noch in der Küche, es war weit nach Mitternacht, und draußen hatte es zu regnen begonnen. Der Aprilregen rauschte gleichmäßig, stark und kräftig zur Erde. Irgendwann am Abend war der Pizzabote gekommen und hatte die Pizzen gebracht; nun standen die leeren Pappschachteln auf dem Tisch, und der Geruch nach geschmolzenem Käse, Tomaten und Oregano hing im Raum. Beatrice hatte Kerzen angezündet, deren Schein den letzten Rest Rotwein in den Gläsern schimmern ließ. Die Atmosphäre war von Vertrauen und Zuneigung und sehr viel Nähe erfüllt, und das alles war zwischen Beatrice und Franca bislang nicht spürbar gewesen. In den letzten Stunden war eine Wärme entstanden von jener besonderen, unbefangenen Art, wie nur Frauen sie untereinander empfinden können. Es störte nicht, daß sie verschiedenen Generationen angehörten. Sie verstanden einander.
»Heute frage ich mich manchmal, ob Julien mich wirklich geliebt hat«, fuhr Beatrice fort, »ich meine, mit der gleichen Opferbereitschaft und Hingabe, mit der ich ihn liebte. Ich denke, ich stellte für ihn die Verbindung zum Leben dar. Er fühlte sich begraben, ausgegrenzt, oft hoffnungslos. Wenn er mich in den Armen hielt, wenn wir uns liebten, dann war er einfach ein junger Mann, der mit einem jungen Mädchen Liebe machte. Dann lebte er. Vielleicht wäre jede andere das gleiche für ihn gewesen wie ich.«
»Mae jedenfalls nicht«, wandte Franca ein. »Die beiden hatten ein halbes Jahr lang Zeit, etwas zwischen sich entstehen zu lassen. Aber es geschah nichts.«
»Nein, mit Mae nicht. Aber sie war auch noch ein richtiges Kind - im Unterschied zu mir. Zudem war sie die Tochter der Leute, die Julien versteckten, die unendlich viel für ihn aufs Spiel setzten. Mit ihr zu schlafen, so jung, wie sie war, hätte Julien unerträgliche Gewissensbisse bereitet. Das hätte er nicht getan.«
»Sie waren auch sehr jung.«
»Ich wurde vierzehn in unserer ersten Nacht. Sind die Mädchen heute da nicht noch jünger? Damals war es sicher
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