Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin
vor Erichs Todesqualen zuzuhalten.«
Jetzt, auf der Uferstraße, dachte sie wieder an die Antwort, die Beatrice ihr gegeben hatte, und die schlicht, klar und wahr gewesen war.
»Mein Motiv war Rache. Rache für die Besetzung meiner Insel. Rache für die Vertreibung meiner Eltern. Rache für die Jahre, die er unrechtmäßig in meinem Haus verbracht hatte. Ich hätte ihn nicht eigenhändig getötet, aber ich sah auch keinen Grund, seinen Tod zu verhindern.«
Ja, dachte Franca, das ist verständlich. Kaum einer könnte ihr das übelnehmen. Niemand würde es tun. Aber sie - sie verzeiht es sich nicht. Sie ist nie damit fertig geworden.
»Sie weihten also Dr. Wyatt ein?« hatte sie sachlich gefragt, eigentlich nur, um etwas zu sagen, ohne auf Beatrices Antwort eingehen zu müssen.
»Wir mußten ihn einweihen. Er durfte nicht sagen, daß er wegen Pierre bereits im Haus gewesen war. Er stellte für Erich
einen Totenschein aus, gab an, daß Erich sich durch einen Kopfschuß habe töten wollen und schließlich an dem versehentlich gesetzten Schuß dicht über dem Herzen verblutet sei. Er sorgte dafür, daß man die Leiche abholte und begrub. Er versprach uns, über den tatsächlichen Geschehensablauf jenes I. Mai Stillschweigen zu bewahren. Ihm gegenüber gaben wir natürlich an, daß wir Pierre hatten retten wollen. Wyatt begriff dies als eine Notsituation, in der wir nach seiner Ansicht nicht anders hatten handeln können. Er war dankbar, daß wir ihm von Erich nichts erzählt hatten, als er nachmittags da war, denn er hätte es mit seinem Gewissen und mit seinem Eid nicht vereinbaren können, Erich seine ärztliche Hilfe zu verweigern. Aber so hatte er nichts gewußt, und damit mußte er sich auch keine Vorwürfe machen. Er erklärte, er werde seiner Frau Bescheid sagen, denn sie wisse ja, daß er bei Pierre gewesen und überhaupt den ganzen Tag über erreichbar gewesen sei. Mrs. Wyatt würde dichthalten, das wußten wir.« Beatrice hatte gelächelt und die Schultern gezuckt. »Und nun hat sie es am Ende offenbar doch ausgeplaudert, nicht wahr? Ich denke, man darf ihr deshalb nicht böse sein. Sie ist weit über neunzig, und sie hatte wohl nicht mehr ganz den Überblick. In ihrem Alter wird es uns sicher nicht anders ergehen.«
Fünf Menschen, dachte Franca, fünf Menschen wußten es und schwiegen darüber. Und mehr, als Beatrice glaubt, hat es sie wahrscheinlich an Helene gefesselt. Sie hatten gemeinsam ein Verbrechen begangen. Es hat sie zusammengeschweißt, selbst wenn es ihnen nicht klar war.
Sie ging weiter und sah plötzlich einen Mann auf einer Bank sitzen, und obwohl sie sein Gesicht nicht erkennen konnte, wußte sie, daß es Alan war.
Sie waren ziemlich weit von The Terrace entfernt, an der breiten Straße, die nach vorn zum Pier führte, wo die Autos von Ferienreisenden auf Schiffe verladen wurden. Auf großen Schildern wiesen die Namen der Fährverbindungen auf die Spuren hin, auf denen man sich einordnen mußte. Zu dieser nächtlichen Stunde lief hier niemand mehr umher. Große Bogenlaternen warfen ein bläuliches Licht über die Parkplätze und die leeren, stillen Verwaltungsgebäude. Leise schwappte das Wasser gegen die Kaimauern.
Sie trat an Alan heran und sagte vorsichtig: »Alan? Wir haben Sie überall gesucht.«
Er wandte sich ihr zu.
Wie zerquält er aussieht, dachte sie mitleidig, und wie einsam.
»Ach, Franca, Sie sind es. Was tun Sie denn hier um diese Zeit?«
Erstaunt registrierte sie, daß er nicht betrunken war. Er mochte ein paar Gläser Wein zu sich genommen haben im Laufe des Tages, aber es handelte sich keinesfalls um nennenswerte Mengen. Der Zug durch die Kneipen, von dem Beatrice überzeugt gewesen war, er werde ihn am Abend unternehmen, hatte offensichtlich nicht stattgefunden.
»Ich sagte doch, wir haben Sie gesucht. Ihre Mutter und ich.«
»Wo ist meine Mutter?«
»Ich habe sie nach Hause geschickt. Es geht ihr nicht gut heute. Helene und das alles...« Sie machte eine unbestimmte Handbewegung. »Sie wissen schon.«
»Ja«, sagte er, »ich weiß schon.«
Er schaute wieder zum Wasser hin, und sie verharrte einen Moment lang unschlüssig, setzte sich dann aber neben ihn.
»Möchten Sie mit mir heimkommen?« fragte sie. »Sie können ja nicht die ganze Nacht hier sitzen bleiben.«
»Wie spät ist es?«
»Schon nach elf Uhr. Gleich halb zwölf.«
»Ich weiß nicht... Ich glaube, ich möchte noch eine Weile hierbleiben. «
»Beatrice sorgt sich um Sie.«
Er lachte
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