Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin
Küche gewesen war, ein leises Murmeln vernommen. Erich und Helene schienen miteinander zu sprechen. Das hatte ihr ein wenig Mut gemacht, vielleicht sah es nicht so düster aus für ihn. Aber als sie sein Stöhnen hörte, wußte sie, daß der Todeskampf begonnen hatte.
4
»Die Endphase seines Sterbens dauerte etwa eine Stunde«, sagte Beatrice. Etwas von dem Grauen jenes Tages war in ihren Augen zu lesen, Franca konnte es deutlich sehen. »Wenn ein Mensch stundenlang um Hilfe bettelt, wenn er sich gegen den Tod wehrt, von dem er weiß, daß er bereits nach ihm greift und ihn nicht wird entkommen lassen, so scheinen solche Stunden eine ganze Ewigkeit zu dauern. Es hätten Jahre sein können. Es nahm kein Ende, und ich dachte, ich würde es nicht aushalten. Ich lief in den hinteren Teil des Gartens, warf mich auf die Erde, preßte beide Fäuste gegen die Ohren. Ich betete, es möge vorübergehen. Er mußte schrecklich leiden. Und es gab kein Morphium, keinen Äther, nichts. Er mußte aushalten ohne die kleinste Erleichterung.«
»Und Helene blieb bis zum Schluß bei ihm?« fragte Franca.
Beatrice nickte. »Sie hielt durch. Gott weiß, wer oder was ihr die Kraft dazu gab. Ich hätte es nicht geschafft. Ich kenne niemanden,
der es geschafft hätte. Erich quälte sich langsam zu Tode, und sie saß nicht nur daneben, sie zog auch ihren Plan eisern durch. Die ganze Zeit dachte ich: Jetzt kippt sie um. Das hält sie nicht aus. Sie wird einen Arzt holen. Nur ein Ungeheuer könnte ihm jetzt noch Hilfe verweigern... Und Helene war kein Ungeheuer. Sie war eine labile, sentimentale, ziemlich wehleidige Person, die es mit viel Quengeln und Jammern ihr Leben lang fertigbrachte, daß andere für sie die Kastanien aus dem Feuer holten und sich um sie kümmerten. Sie war nicht in der Lage, irgendeine Entscheidung selbständig zu treffen oder sich einer Verantwortung zu stellen. Aber sie ging hin und sah zu, wie Erich sein Leben verlor, und sie tat nichts, absolut nichts, dies zu verhindern.«
Franca nahm den letzten Schluck Wein aus ihrem Glas. Er schmeckte warm und scheußlich, war zwei Stunden alt und außer der Wärme des Abends auch der ihrer Hände ausgesetzt gewesen, die ständig mit dem Glas gespielt hatten. »Ich denke nicht, daß sie das war«, sagte sie, »ich meine, eine labile, sentimentale Person... Helene wußte ganz genau, was sie wollte. Sie wußte es vielleicht am besten von der ganzen Familie, besser als Erich oder Sie. Sie hat in ihrem Leben durchgesetzt, was sie wollte: Sie blieb auf Guernsey, sie blieb in dem Haus, sie hatte mit Ihnen und Alan eine kleine Familie... Im Grunde passierte doch immer, was sie sich wünschte. Sie hatte eine bestimmte Strategie, und die hieß: Mach dich klein und schwach, jammere und bettle und zwinge die anderen, genau das zu tun, was du möchtest. Sie nahm in Kauf, daß man sie für schwach hielt und sie verachtete, denn es ging ihr nur um die Resultate, und die gerieten nach ihrer Vorstellung. Ihr Verhalten bei Erichs Tod paßte genau in das Muster, nur mußte sie ausnahmsweise eine andere Strategie anwenden. Sie konnte sich nicht hinsetzen und heulen und Beatrice machen lassen, denn in diesem Fall klappte nun einmal Beatrice zusammen. Helene mußte aktiv werden, beziehungsweise sie mußte einmal sichtbar aktiv werden, denn auf ihre Art war sie es immer. Und sie beherrschte auch diese Variante perfekt. Sie war keine andere an diesem Tag, Beatrice. Sie war dieselbe Helene wie immer. Sie hatte einen Entschluß gefaßt, und sie drückte ihn durch. Nichts an ihrem Verhalten war auch nur im geringsten ungewöhnlich.«
Beatrice drehte ihr schon lange leeres Glas in den Händen. »Ja«, sagte sie leise, »das stimmt, Franca. Sie war stark. Und egoistisch. Und raffiniert. Ich habe das mein Leben lang nicht begriffen. Erst an dem Tag, an dem sie beerdigt wurde. Als Kevin mir erzählte, was noch geschehen war an jenem 1. Mai 1945.«
Franca runzelte die Stirn. »Was war denn noch geschehen? Ich meine, was konnte überhaupt noch geschehen sein, ohne daß Sie es mitbekommen hätten?«
Beatrice neigte sich nach vorn. Sie sah gequält aus, und ihre Stimme war zu einem Flüstern geworden. »Ich möchte erst etwas wissen, Franca. Sie sind der erste Mensch, dem ich die Wahrheit erzählt habe, die Wahrheit über Erichs Tod. Außer Dr. Wyatt damals, den wir einweihen mußten, um unsere Geschichte durchhalten zu können. Aber Wyatt, der ja auch Julien versteckte, gehörte ohnehin zu der
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