Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin
bitter. »Jede Wette, daß sie denkt, ich bin sternhagelvoll! Deshalb hat sie St. Peter Port nach mir durchkämmt, stimmt’s? Und deswegen mußten auch Sie Ihre Zeit und Ihre Nachtruhe opfern. Mum denkt, ich torkele hier herum und falle irgendwann bewußtlos ins Hafenbecken.«
Francas erster Impuls war, dies abzustreiten - »Was denken Sie denn, wir haben uns einfach Sorgen gemacht, als Sie zum Abendessen nicht erschienen! « -, aber dann kam ihr dies zu durchsichtig und zudem zu unehrlich vor.
»Ist es ein Wunder, daß sie so denkt?« fragte sie daher. »Ich glaube nicht, daß Sie ihr das ernsthaft übelnehmen könnten.«
Er schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er müde, »das kann ich wohl nicht.«
»Aber Sie haben nichts getrunken«, stellte Franca fest. »Ihre Mutter wird sehr erleichtert sein.«
»Und sehr überrascht«, sagte er, »in erster Linie wird sie überrascht sein.«
Wieder wandte er sich ab.
»Wäre es Ihnen lieber, ich ginge?« fragte Franca. »Und ließe Sie in Ruhe?«
Er schwieg einen Moment, und als Franca schon überlegte, ob sie ihre Frage wiederholen sollte, sagte er unvermittelt: »Ich habe mich von Maja getrennt. Endgültig und unwiderruflich.«
»Warum?» fragte Franca und hätte sich eine Sekunde später am liebsten geohrfeigt für diese Bemerkung. Sie kannte Maja, sie wußte, was diese Alan angetan hatte. Und Alan wußte, daß sie es wußte. Wie dumm mußte ihm ihre Frage vorkommen. Aber er sagte ganz ruhig: »Sie ist noch verdorbener, als ich ahnte. Sie hat viel schlimmere Dinge getan, als ich dachte. Ich habe Zeit, Kraft und Liebe investiert in eine gewöhnliche...« Er stockte, sprach den Satz nicht zu Ende. Statt dessen sagte er: »Es ist jetzt ja auch gleich.«
»Maja ist jung und leichtsinnig«, sagte Franca. »Vielleicht wird sie ein ganz ordentlicher Mensch, wenn sie sich erst richtig ausgetobt hat.«
»Ich weiß es nicht. Ehrlich gesagt, ich bezweifle es. Sie hat mir heute ein paar Dinge über sich erzählt, die jeder normale Mensch nur zutiefst verurteilen kann. Sie hat keine Moral, Franca, nicht die geringste. Sie hat kein Ehrgefühl. Sie hat keinen Stolz, denn der verliert sich mit der Ehre. Es gibt keine Grenzen für sie und keinen Halt. Sie lebt, wie es ihr paßt. Die Gefühle anderer Menschen interessieren sie einen Dreck. Sie schert sich nicht einmal um Begriffe wie fremdes Eigentum oder um etwas so Verstaubtes wie Recht und Ordnung. Diese Werte haben keinerlei Bedeutung für sie. Das ist nicht mehr nur jugendlicher Leichtsinn oder ein ausgeprägtes Bedürfnis, sich richtig auszuleben. Ihr Charakter ist so. Unmoralisch und ehrlos. Und diese Frau habe ich geliebt. O Gott.« Seine Stimme wurde sehr leise, klang wie zerbrochenes Glas. »Diese Frau habe ich wirklich geliebt.«
Franca hatte keine Ahnung, was Alan über Maja erfahren haben mochte, aber sie begriff, daß es erschütternd für ihn gewesen sein mußte und daß er am Ende seiner Kräfte war. So sehr am Ende, daß er sich nicht einmal mehr vom Alkohol Trost und Ruhe versprochen hatte, denn in diesem Zustand wäre er in einer Kneipe versackt und hätte getrunken bis zum nächsten Morgen. Seine Verzweiflung schnitt ihr ins Herz, und sie sagte: »Es ist schlimm, ich weiß. Es ist schlimm, die ganze Wahrheit über einen Menschen zu erfahren. Es muß nicht einmal eine dramatische Wahrheit sein. Ich glaube, es ist immer schwer erträglich, in alle Winkel eines Menschen zu schauen. Es zerstört in jedem Fall eine Menge Illusionen, und den Abschied von den Bildern, die wir uns von einer Person gebastelt haben, verschmerzen wir kaum. Es tut weh, und es verunsichert uns zutiefst.«
Er sah sie endlich wieder an. Seine Züge waren voller Kummer, aber sehr sanft. »Ja, so ist es. Wir geraten ins Wanken, wenn wir eine Illusion als solche entlarven. Vielleicht liegt es daran, daß unsere gesamte Urteilskraft in diesem Moment in Frage gestellt wird. Wo überall noch täuschen wir uns so sehr? Warum haben wir nicht früher erkannt, was los war? Warum waren wir so blind und so taub?«
»Es ist nicht nur das«, meinte Franca. »Natürlich befallen uns Selbstzweifel, Ängste, Unsicherheiten. Aber ich glaube, das schlimmste ist, daß unsere Gefühle verletzt werden. Sie sind in erster Linie getäuscht worden, weit mehr als unsere Urteilskraft. Und es gibt kaum etwas, das so weh tut wie enttäuschte Gefühle.«
»Sie heilen mit der Zeit«, sagte er leise, mehr zu sich selbst als zu ihr, »das wenigstens ist gewiß.
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