Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin
dann.«
»Kaum zu glauben«, sagte Alan, »aber genauso ging es mir. Haben wir vielleicht Vollmond?«
»Nein.« Sie nahm einen großen Schluck und verzog gleich darauf das Gesicht. »Eigentlich mag ich Whisky überhaupt nicht.«
»Warum trinkst du ihn dann?«
»Die Flasche stand gerade griffbereit. Das hat mich wohl verführt. Oder der Geruch aus deinem Glas oder von dir selbst, was weiß ich. Es riecht ziemlich stark nach Alkohol hier im Zimmer, trotz der Zigaretten. Dein wievieltes Glas ist das?«
Er fühlte sich hin- und hergerissen zwischen dem Bedürfnis, ihr harsch zu erklären, daß er über vierzig war und ihr keinerlei Rechenschaft schuldete, und dem kindischen Wunsch, sie zu schockieren, indem er ihr eine Zahl nannte, die sie erschüttern würde.
»Das sechste oder siebte«, erklärte er gelangweilt und schenkte sich erneut nach.
»Unsinn. Dann würdest du schon lallen. Aber ich finde es ziemlich bedenklich, daß du jetzt bereits mitten in der Nacht trinkst. «
»Du tust ja nichts anderes.«
»Bei mir ist es eine Ausnahme.«
»Ach ja? Das kann ich dir glauben oder nicht. Ich jedenfalls schlafe nachts für gewöhnlich.«
»Alan!« Sie stellte ihr Glas ab, und sah ihn eindringlich an. »Irgend etwas stimmt doch nicht! Du trinkst einfach zuviel, das ist für jeden inzwischen ersichtlich. Und dieses nächtliche Herumwandern... Ich weiß ja nicht, ob du es nicht auch in London tust, und dann frage ich mich, weshalb du nicht schlafen kannst und wovor du davonläufst und in den Alkohol flüchtest!«
»Ich habe dir gerade gesagt, daß ich es in London nicht tue. Vielleicht liegt es an dem Haus hier. Ständig knarren und ächzen hier irgendwelche Holzbalken. Kein normaler Mensch kann dabei schlafen. «
»Alan ...«
Klirrend stellte er sein Glas ab. »Mum, bitte hör auf mit diesen inquisitorischen Fragen. Ich bin erwachsen. Ich weiß, was ich tue.«
»Du bist nicht glücklich.«
»Woher willst du das wissen?«
»Ich sehe es. Selbst jemand, der dich weniger gut kennt als ich, könnte es sehen. Dein Gesichtsausdruck verrät es, es steht in deinen Augen deutlich geschrieben, und dein Verhalten zeigt es auch. Du bist zweiundvierzig Jahre alt, du bist erfolgreich und siehst gut aus — aber du lebst in einer Einsamkeit, die fast greifbar an dir ist. Mir tut es weh, dich so zu erleben, und ich wünschte, du würdest mit mir darüber reden, und wir könnten zusammen überlegen, was zu tun ist.«
Noch jetzt, eine Woche später, unschlüssig im kalten Wind des Hafens stehend, erinnerte er sich gut, wie übel ihm bei diesen Worten geworden war. Immer schon hatte es ihn psychisch belastet, wenn Beatrice anfing, eine allzu intensive Nähe zu ihm herzustellen, wenn sie das Wort »wir« strapazierte und irgendwelche gemeinsamen Vorgehensweisen ansteuerte. Sofort legten sich ihm dann Bleigewichte auf die Brust, ihm wurde heiß, und er konnte nicht mehr richtig atmen. Er hatte keine Ahnung, woran das lag; möglicherweise an der Tatsache, daß er die Unwahrheit des Wortes »wir« kannte. Für Beatrice gab es im Grunde nur ein »Ich«. Wenn sie sagte: »Wir können gemeinsam überlegen«, dann hieß das in Wahrheit: »Ich werde einen Plan fassen, und du wirst ihn akzeptieren.«
Darüber hinaus haßte er es, wenn sie an seinen Verdrängungsmechanismen rüttelte. Vielleicht stimmte irgend etwas nicht an seinem Leben, aber er hatte es zumindest im Griff, und wenn er unglücklich war, so gelang es ihm jedenfalls die meiste Zeit über, diesen Umstand so von sich zu schieben, daß er sein Vorhandensein fast nicht bemerkte. Er konnte es nicht gebrauchen, daß ein
Mensch heranspaziert kam, zehn spitze Finger auf die Wunde legte und ihm einzureden versuchte, er sei ein armer Tropf. Beatrice war unschlagbar in dieser Disziplin. Sie musterte andere Menschen mit ihren Röntgenaugen, entdeckte in Windeseile ihre Schwachstellen und krallte sich daran fest. Unter dem Tarnmantel der Hilfsbereitschaft und Fürsorge natürlich.
In Wahrheit, dachte er, befriedigt sie einfach nur ihre Machtgelüste. Er fand es verwunderlich, daß er sich immer wieder auf sie einließ, daß er nach Guernsey kam, in ihrem Haus wohnte, sich von ihr beaufsichtigen, schikanieren und kritisieren ließ. Und auch gleich eine ganze Weile blieb.
Er war am Tag vor Weihnachten angereist, und nun war schon die erste Januarwoche vorbei, und er war immer noch hier. Er hatte bis zum 9. Januar Urlaub genommen und fragte sich nun, warum er so dumm gewesen war, die
Weitere Kostenlose Bücher