Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin
bereit, sie so einfach entkommen zu lassen. Franca hatte schon manchmal gedacht, daß er die Mentalität einer Katze hatte, die mit der Maus spielt, ehe sie sie frißt. Die Maus darf ein paar Schritte weit laufen, ehe die Katzenpfote wieder unbarmherzig auf sie niedersaust.
Warum bin ich immer die Maus? fragte sich Franca in steigender Verzweiflung.
»Was heißt — es ist nicht wichtig? Du hast angefangen mit dem Thema, weil es wichtig ist. Sonst hättest du kaum davon gesprochen, oder? Ich gehe ja nicht davon aus, daß du bei unserem letzten ruhigen Frühstück, ehe für mich der Arbeitsalltag wieder beginnt, ein Gespräch anfängst, das nicht wichtig ist!«
»Michael ...«
»Du hast gesagt, du brauchst eine Aufgabe. Ich habe dich gefragt, woran du gedacht hast. Ich habe daraufhin vorgeschlagen, das Pferd andersherum aufzuzäumen und ein paar Möglichkeiten zu überlegen. Prompt ist die ganze Unterhaltung deiner Ansicht nach nicht mehr wichtig. Merkst du nicht, daß dieses Verhalten ein wenig neurotisch erscheinen muß?«
Die Katzenpfote hatte zugeschlagen. Franca hatte ein neues Attribut verliehen bekommen. Neben widersinnig und hoffnungslos war sie nun auch neurotisch.
Sie bereute es zutiefst, ein Thema angeschnitten zu haben, bei dem es um sie ging. Es funktionierte einfach nicht mit Michael. Sie stand im Handumdrehen mit dem Rücken zur Wand und verteidigte sich gegen seine Angriffe. Aber ging es ihr wirklich nur bei ihm so? Eigentlich geriet sie bei den meisten Menschen sehr rasch in die gleiche Situation. Irgendwie kapierten fast alle — selbst solche, die sonst zu dumm waren, bis drei zu zählen — sehr schnell, wo ihre Schwachpunkte lagen. Sie bemerkten ihre Angst und ihre Unsicherheit und schossen sich darauf ein. Sie analysierten, berieten, bemitleideten Franca. Die aggressiveren Naturelle trieben sie mit Angriffen in die Enge.
»Was willst du heute machen?« fragte sie, hoffend, ihre Rolle
als Gesprächsgegenstand abgeben zu können. »Es ist dein letzter Ferientag. Du solltest...«
Michael verzog spöttisch das Gesicht. »Aha. Madame wünschen einen Themenwechsel. Wollten wir nicht über deine beruflichen Möglichkeiten sprechen? Oder interessiert dich das schon nicht mehr?«
»Es nützt nichts.«
Er seufzte zum dritten Mal. Franca kam sich vor wie ein bockiges kleines Kind. »Mit dieser Einstellung wird es natürlich nichts. Wenn du von vornherein nicht an ein gutes Ergebnis glaubst... Das ist wirklich das Problem, Franca. Wenn du nicht an dich glaubst, tut es auch sonst niemand.«
Diesen Satz hatte sie schon so oft von ihm gehört, daß er ihr fast Erbrechen verursachte. Wie macht man das denn — an sich glauben? hätte sie gern gefragt. Ich würde das sofort tun, wenn ich nur wüßte, wie. Gibt es ein Rezept, so zu werden wie du?
Sie betrachtete ihn, wie er da zurückgelehnt im Stuhl saß und die Hände hinter dem Kopf verschränkte. Sie hatte immer gefunden, daß er gut aussah, und sie fand das auch jetzt noch, aber zum erstenmal dachte sie plötzlich, daß er jedenfalls nicht sympathisch aussah. Sie kam sich ketzerisch vor und erschrak über sich selbst, aber sie konnte das Bild, das Michael abgab, nicht vor sich selbst beschönigen, ohne sich dabei in die eigene Tasche zu lügen: Er sah kein bißchen sympathisch aus.
In seinem Lächeln lag eine Arroganz, die früher nur als Andeutung vorhanden gewesen war, sich nun aber ausgeprägt hatte. Seine lässige Haltung, die hochgezogenen Augenbrauen, die etwas zu langen, zurückgekämmten Haare mit dem attraktiven Grau über den Schläfen verstärkten den Eindruck eines Menschen, der sich seiner Wirkung auf andere sehr bewußt ist und gern mit seinen Möglichkeiten spielt.
Und was sieht er, wenn er mich anschaut? fragte sich Franca beklommen. Sie konnte sich dunkel erinnern, daß es einst geheißen hatte, sie sei eine attraktive Frau. In der Uni hatte sie immer wieder Komplimente gehört, Männer hatten ihre langen Beine bewundert und ihre hellen Augen mit den dichten Wimpern. Jetzt hatte sich schon lange niemand mehr nach ihr umgedreht. Sie
wußte, daß ihren Augen Glanz und Wärme fehlten, daß sie zu selten lachte, daß Frustration und Angst ihren Zügen einen Anstrich von Bitterkeit verliehen. Sie sah aus, wie sie sich fühlte: grau, verhuscht, nervös und verschreckt.
Ihr kam der Gedanke, daß es wahrscheinlich nicht mehr lange dauern könnte, bis Michael sie mit einer anderen Frau betrog — falls er es nicht die ganze Zeit über
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