Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin
kostbaren freien Tage auf Guernsey zu vertun. Er hätte ebensogut in den Süden fliegen und sich in die Sonne legen können.
Aber er wäre dabei allein gewesen. In London, und »im Süden« auch. Nicht, daß es ihm Schwierigkeiten bereitet hätte, in Kneipen oder Hotelbars Mädchen kennenzulernen. Die Frauen hatten es ihm schon immer leichtgemacht, reagierten bereitwillig und entgegenkommend auf einen Blick oder ein Lächeln von ihm. Aber eine Reihe schneller, flüchtiger Affären hatte ihn gelehrt, daß man selbst in der intimsten körperlichen Verschmelzung mit einem anderen Menschen einsam sein konnte. Einsamer manchmal als allein vor dem Fernseher. Irgendwann hatte er den One-night-stands abgeschworen. Er mußte nicht mehr mit Frauen schlafen, um sich von seiner eigenen Unwiderstehlichkeit zu überzeugen. Eigentlich fand er es inzwischen sogar schöner, mit einer Frau zu reden, als sofort mit ihr ins Bett zu gehen.
Wahrscheinlich werde ich alt, dachte er, oder Mummie hat recht, und ich bin so einsam, daß ich nicht einmal mehr am Sex Spaß habe.
Ein Gefühl tiefer Mutlosigkeit überkam ihn, und auf einmal schien auch der Wind um ein weiteres Grad kälter zu werden. Die Gier nach einem Schnaps wurde beinahe übermächtig. Er wußte, daß er sich damit sofort besser fühlen würde. Er stellte sich das
Brennen in seiner Kehle vor, die Wärme in seinem Magen, die Leichtigkeit in seinem Kopf. Der fahlgraue Januartag würde Farbe bekommen, und die Luft würde etwas milder werden. Er zögerte eine Sekunde und schaute die Straße hinunter, und in dem Moment sah er sie, und er wußte wieder, weshalb er immer und immer wieder nach Guernsey kam, länger blieb, als es hätte sein müssen, spürte wieder die kindliche Hoffnung, die ihn zwang, stets von neuem einen Ort aufzusuchen, den er eigentlich haßte.
Er sah Maja und dachte, daß es, verdammt noch mal, nie aufhören würde. Er verzehrte sich nach ihr. Wie ein dummer, kleiner Schuljunge betete er sie an, und wider besserem Wissen existierte irgendwo in seinem Gehirn, in seinem Herzen oder in seiner Seele unauslöschbar die Vorstellung, alles — das Leben, der Alltag, die Zukunft — werde besser und schöner, wenn sie sich endlich ganz für ihn entschiede.
»Hallo, Alan«, sagte sie, als sie näher gekommen war.
»Hallo, Maja«, erwiderte er, und glücklicherweise gelang es ihm, seiner Stimme einen gelassenen Ton zu verleihen. In Wahrheit schlug sein Herz heftig, und mehr als zuvor sehnte er sich nach einem Schnaps, der ihm die Ausgeglichenheit zurückgegeben hätte.
»Ich dachte, du wärst längst abgereist«, sagte Maja, »wie schön, dich so unerwartet zu treffen.« Ihr Lächeln war sanft und liebevoll und glich dem einer Madonna, aber ihre Augen funkelten kokett und verführerisch und verrieten, wie sehr sie jede Geste und jeden Blick kalkulierte.
Alan überlegte, ob sie aus irgendeinem Grund unempfindlich gegen die Kälte war, oder ob sie erbärmlich fror, diesen Preis jedoch für ihr aufreizendes Aussehen zu bezahlen bereit war. Sie trug einen Rock, der so eng und kurz war, daß es kaum möglich sein dürfte, sich damit hinzusetzen. Ihr Pullover war mindestens eine Nummer zu klein gekauft, und die langen Beine steckten in schwarzen, schimmernden Strümpfen. Die Schuhe mit den hohen Absätzen ließen Maja noch größer und schlanker erscheinen, als sie tatsächlich war. Und sie war sehr schlank, womöglich noch schlanker als an Weihnachten, als er sie zuletzt gesehen hatte. Weshalb rührte ihn ihre Magerkeit so? Mühsam rief er sich ins Gedächtnis,
daß es nichts an ihr gab, was einem anderen Menschen ein Gefühl der Rührung hätte abringen müssen. Maja war cool und schlau und setzte ihre Belange mit einiger Rücksichtslosigkeit durch. Wenn sie manchmal kindlich und zart aussah, dann deshalb, weil sie in bestimmten Momenten kindlich und zart aussehen wollte.
Sie hatte ihren Mantel über dem Arm hängen; etwas barsch fragte er: »Glaubst du nicht, daß du dich erkälten wirst? Du spazierst ja halb nackt durch die Gegend!«
Sie verzog spöttisch das Gesicht. »Vielleicht ist dein Kreislauf ein bißchen schwach. Ich friere jedenfalls nicht.«
Er bemerkte den bläulichen Schatten über ihren Lippen — die weich waren und voll und warm — und wußte, daß sie log. Ihr war kalt, aber der Mantel hätte zuviel von ihrem Körper verdeckt.
Schlag sie dir aus dem Kopf, dachte er gleichermaßen zornig und verzweifelt, du kannst mit ihr nicht glücklich werden.
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