Die rote Agenda
den Bergen türmten sich
dicke Wolken auf. Obwohl die Wettervorhersagen für diesen Tag gut waren, braute
sich offensichtlich ein Gewitter zusammen.
[393] Auf der
Tribüne wechselten sich, in Erwartung des Staatsoberhaupts und des Premiers,
verschiedene Redner ab. Es sprachen der Präsident der Region Sizilien, diverse
Abgeordnete und einflussreiche Persönlichkeiten aus der Verwaltung, außerdem
Architekten und Bauunternehmer sowie eine Unmenge von Honoratioren. Alle hatten
bis zum letzten Blutstropfen gekämpft, um bei diesem denkwürdigen Ereignis
auftreten zu können.
Überall
aufgestellte Großleinwände ermöglichten es, jede Sekunde des Ereignisses in der
ganzen Stadt zu verfolgen, doch man hielt die Menge in beträchtlichem Abstand
von der abgesperrten »roten Zone«, die von der Polizei überwacht wurde.
Schließlich,
um zehn nach zwei, hielten die Wagen der Kolonne des Präsidenten ihren
triumphalen Einzug auf dem Platz vor der Tribüne. Umgeben von Bodyguards stieg
der Präsident unter künstlich verstärktem tosenden Beifall aus. Er winkte zum
Zeichen des Grußes und betrat, mit seinem ewig strahlenden Lächeln auf den
Lippen, von seinem Gefolge begleitet die Tribüne.
In
ebendiesem Moment schob ein Mann im obersten Stockwerk eines Palazzo in der Via
Santa Cecilia ein auf ein Stativ montiertes Teleskop von beachtlichen
Dimensionen näher ans Fenster heran und richtete es aufs Meer. In Wirklichkeit
handelte es sich nicht um ein Teleskop, sondern um ein Zielortungssystem des
Typs SACLOS , das über einen Laser einer Rakete
das anvisierte Ziel mitteilen würde. Der einzig und allein auf diese
Wellenlänge ausgerichtete Sensor der Bombe, die von einem vier Kilometer von
der Brücke entfernten Wachboot abgefeuert werden sollte, würde [394] die Reflexion
auffangen und einen Präzisionsschlag auslösen.
Der Mann
hatte eine perfekte Sicht auf die Tribüne und vor allem auf die Brücke. Sobald
die Kolonne auf der Brücke wäre, würde er den Laser auf den Präsidentenwagen
richten und gleichzeitig der Besatzung des Wachboots den richtigen Moment für
den Abschuss der Panzerabwehrrakete Kornet signalisieren. Aus russischer
Produktion, zweiundzwanzig Kilo schwer, Durchmesser fünfzehn Zentimeter, Länge
ein Meter zwanzig, war sie eine kleine, aber mörderische Bombe mit einer
Reichweite von gut fünf Kilometern.
Der Mann
kontaktierte über Computer seine Komplizen auf dem Meer und traf die letzten
Absprachen. Dann setzte er sich auf einen hohen Hocker hinter das Stativ und
wartete.
[395] 63
Matteo
Trapani wartete den Ablauf der Ereignisse in einer eleganten Dachwohnung im
Zentrum von Messina ab, von wo aus er bequem sowohl den Ort der Einweihungszeremonie
als auch die Brücke beobachten konnte. Außer ihm befanden sich in dem Apartment
seine Bodyguards und einige Mitglieder der in die USA entkommenen palermitanischen Mafia, einschließlich des jungen Vizes des Paten,
der an seine Stelle treten sollte, sobald der seinen Tod in Szene gesetzt hätte
und die Öffentlichkeit glauben würde, er sei ein Opfer des Mafiakriegs
geworden.
Doch seine
Befriedigung über die unmittelbar bevorstehende Abrechnung wurde ihm durch die
Sorge um seine Frau verdorben. Nachdem er von seiner Schwiegermutter erfahren
hatte, dass Betta nicht nach Turin abgereist war, hatte Matteo den ganzen
Vormittag über erfolglos versucht, sie am Handy zu erreichen. Er fürchtete,
dass sie, nach der Entdeckung seiner geheimen Absprache mit ihrer Mutter,
Elvira nachgereist war und sich nun mit ihrer Freundin bei der Einweihungsfeier
der Brücke aufhielt. Dies könnte, falls irgendetwas schiefginge, gefährlich
sein.
Trapani
nahm das Handy und wählte erneut die Nummer seiner Frau. Endlich meldete sie
sich.
»Wo bist
du? Seit Stunden suche ich dich! Warum [396] antwortest du denn nie?«, fuhr er sie
an und vergaß dabei die übliche Freundlichkeit.
»Komische
Frage von einem Mann, der im Morgengrauen das Hotel verlässt, ohne auch nur
eine Nachricht zu hinterlassen«, antwortete sie bissig.
Matteo
hatte keine Zeit für Wortgefechte, vor allem weil der Lärm, den er durch das
Telefon hörte, darauf hinwies, dass seine Frau sich in einer Menschenmenge
befand.
»Ich
erkläre es dir später, jetzt ist nicht der richtige Augenblick, um zu
streiten«, sagte er und bemühte sich, freundlich zu klingen. »Sag mir, wo du
bist!«
Sie
kicherte nervös. »Sieh mal an! Interessiert dich das wirklich?«
Trapani
zwang sich, ruhig zu bleiben.
Weitere Kostenlose Bücher