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Die rote Antilope

Die rote Antilope

Titel: Die rote Antilope Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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fühlte er sich als der Stärkere. Gerade noch rechtzeitig vor dem kurzen Sonnenuntergang schlugen sie das Nachtlager auf. Unterwegs hatte er ein Tier geschossen, das einem Hasen glich. Er legte sich im Zelt aufs Feldbett und genoß den Geruch von Fleisch und Feuer. Ich habe diesen Menschen Respekt beigebracht, dachte er. Von nun an gibt es keinen Zweifel, daß ich die Beschlüsse fassen werde, die notwendig sind. Ich bin noch jung. Aber diese Ochsentreiber haben verstanden, daß ich die Kraft besitze, die erforderlich ist, um die nötigen Entscheidungen zu treffen.
    Er aß von dem gebratenen Fleisch. Die Ochsentreiber hielten sich in einem gewissen Abstand am Feuer auf. In einem der Bücher, die er im vergangenen Winter gelesen hatte, war er auf einige neue Theorien gestoßen, französische und deutsche, die wie durch Zufall übereinstimmten. Den edlen Wilden gab es nicht. Er gehörte der romantischen Vorstellungswelt früherer Epochen an, der Zeit vor den Ingenieuren, den Eisenträgern und den Kassenbüchern. Er hatte diese Theorien studiert, die Hautfarbe und Gehirne, Nasenrücken und Füße wissenschaftlich betrachteten. Untermenschen und Übermenschen, hatte er gelesen. Zuerst hatte er gedacht, das könne nicht wahr sein, da alle Menschen gleich geschaffen seien. Aber wenn es Gott nicht gab, mußte es die Gleichwertigkeit aller auch nicht geben. An diesem Tag meinte er es mit eigenen Augen gesehen zu haben. Die Ochsentreiber waren eine andere Art von Menschen. Sie mußten auf dieselbe Weise angetrieben werden, wie sie selbst die Ochsen trieben. Auch wenn er nur von einem Mann mit mahlenden Kiefern in Hovmantorp abstammte, aus dem tiefsten armen und rückständigen Småland, war er doch derjenige, der für diese schwarzen Menschen künftig die wichtigen Entscheidungen zu treffen hatte.

    Kurz bevor er einschlief, nachdem er den Revolver unter das Kopfkissen und das Gewehr neben das Feldbett auf den Lehmboden gelegt hatte, schrieb er die letzten Aufzeichnungen dieses Abends nieder. Wieder wandte er sich an Matilda. Diese Menschen, unbegreiflich dunkel in ihrer Haut, lassen sich nicht mit uns vergleichen. Sie gehören zu etwas anderem, vielleicht sind sie eher wie Tiere. Aber sie erinnern an die Armenhäusler daheim. Ihre Unterwürfigkeit, ihr Schweigen, ihre Beflissenheit. Heute habe ich die Rolle gefunden, die ich in diesem Schauspiel zu geben habe. Ich bin dabei, meine eigene Freiheit in die Tat umzusetzen. Noch ist die Wüste fern. Jetzt, kurz vor zehn Uhr abends, ist es noch sehr warm. Ich habe schon gemerkt, daß ich in dieser Wärme leichter aufwache, und daß die Träume anders sind.
    Dann blies er die Kerze aus.
    Von seiner Furcht hatte er nichts geschrieben.

    Mitten in der Nacht wachte er auf, aus einem Traum herauskatapultiert. Er hatte die mahlenden Kiefer des Vaters dicht vor sich gehabt, wie das Gebiß eines Raubtiers. Im Hintergrund hatte er Matilda wahrgenommen. Sie war unbekleidet und wurde von einer Gruppe von Soldaten vergewaltigt, an deren nackten Körpern blaue Tressen klebten. Sie hatte ihn gesehen und seinen Namen gerufen, ihn um Hilfe angefleht. Aber er hatte sich versteckt, sich unsichtbar gemacht und sie ihrem Schicksal überlassen.
    Trotzdem war es nicht der Traum, der ihn geweckt hatte. Denn als er in der Dunkelheit die Augen aufschlug, merkte er, daß ihn etwas aus dem Schlaf gerissen hatte, das sich außerhalb seiner selbst befand. Er lag ganz still und hielt den Atem an. Der Schweiß klebte ihm am Körper. Es sind die Ochsen, dachte er. Sie bewegen sich unruhig, als würde Gefahr drohen. Mit einem Schlag war er hellwach. Er befand sich jetzt nicht in Lund, nicht in Hovmantorp. Afrika war ein Kontinent, wo sich Schlangen ringelten und katzenartige Raubtiere aus dem Dunkel geschlichen kamen und sich in Tierkehlen verbissen. Er tastete nach dem Gewehr. Als er den kalten Lauf spürte, wurde er ruhiger. Er lauschte auf eine andere Weise. Aber er hatte es sich nicht eingebildet. Die Ochsen waren unruhig. Er machte Licht, schlüpfte in seine Hosen und nahm das Gewehr. Das Feuer flackerte. Im Schatten außerhalb des Lichtkreises konnte er die Ochsen erkennen. Die Ochsentreiber lagen zusammengerollt ums Feuer. Aber als er die Körper zählte, fehlte einer. Er kontrollierte, ob das Gewehr entsichert war, schüttelte die Stiefel aus und zog sie an. Dann ging er vorsichtig auf die Ochsen zu.
    Er entdeckte, daß es Neka war, der dort stand. Der fette, unförmige Neka. In der Hand hielt er eine

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