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Die rote Antilope

Die rote Antilope

Titel: Die rote Antilope Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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hängengeblieben. Die Kinder waren zu schnell hintereinander gekommen, und es waren zu viele geworden. Ohne daß er es richtig gemerkt hatte, waren die Jahre vergangen. Und jetzt war er zu alt, um aufzubrechen. Der Lehm würde ihn festhalten, bis er umfiel.
    David Hallen war ein strenger Pastor, und er besaß eine Energie, die ihn mitunter zur Raserei treiben konnte. Er war ungeduldig, irritiert über die Trägheit, von der er sich umgeben glaubte, und fragte sich oft, ob es eigentlich einen Unterschied machte, ob man schwarze Seelen bekehrte oder diese schwerfälligen Kätner und Bauern betreute. Mitunter war er kurz vorm Aufgeben. Aber das Gesicht, das ihm jeden Morgen im Spiegel begegnete, erinnerte ihn daran, weshalb er da stand. Er war ein Diener, der seinen Dienst erst beenden würde, wenn er tot wäre oder vom Schlag so behindert, daß er nicht länger imstande wäre, die Kanzel zu besteigen.

    Er hörte, daß es an der Kirchentür klopfte und wußte, wer gekommen war. Alma, die nie bei einer Predigt einschlief und immer laut, wenn auch falsch, sang, hatte knicksend in der Tür des Pfarrhauses gestanden und wegen des schwarzen Jungen vorgesprochen, der bei ihr und Edvin wohnte. Hallen hatte ihn noch nicht getroffen. Er wußte, daß der Junge hier war, er kannte Doktor Madsen gut, aber er hatte sich auf einer langen Reise nach Dalsland befunden, um seine Schwester zu beerdigen, als der Junge eingetroffen war. Alma hatte ihn um Hilfe gebeten. Der Junge hatte ein Schwein totgeschlagen, er weigerte sich, Schuhe zu tragen, und niemand wußte so recht, was man mit ihm anfangen sollte.

    Hallen hatte Alma aufgefordert, den Jungen allein in die Kirche zu schicken. Außerdem hatte er sie ermahnt, ihn nicht zu erschrecken, sondern nur zu sagen, der Pastor sei ein freundlicher Mann, der jeden kennenlerne n wolle, der in seiner Gemeinde lebte.

    Er verließ die Sakristei. Das Licht, das durch die Fenster sickerte, war immer noch schwach. Er hatte Schwierigkeiten, in der Dunkelheit zu sehen. Dann entdeckte er Daniel, der ganz hinten am Eingang der Vorhalle stand. Er begann, den Mittelgang entlangzugehen. Der Junge rührte sich nicht. Hallen stellte fest, daß er Schuhe an den Füßen hatte. Als er fast bei dem Jungen angekommen war, sah er, daß dieser eine Hand hob und anklopfte, als wäre da eine Tür.
    - Herein, sagte Hallen. Aber du mußt nicht anklopfen, wenn es keine Tür gibt.
    Daniel fiel auf die Knie und umklammerte einen von Hallens lehmigen Schuhen.

    - Du mußt auch nicht auf die Knie fallen, sagte Hallen. Steh auf.

    Daniel tat, wie ihm geheißen. Hallen betrachtete ihn. Die Augen des Jungen waren wachsam. Er schien darauf gefaßt, daß ihm etwas zustoßen würde. Hallen hatte nicht die ganze Geschichte darüber gehört, weshalb der Junge bei Alma und Edvin untergebracht war. Er wußte eigentlich nur, daß der Junge von einem Mann adoptiert worden war, der nach seltenen Insekten suchte und plötzlich zu einer längeren Reise hatte aufbrechen müssen.

    - Du bist also Daniel, sagte Hallen.
    - Ich heiße Daniel, und ich glaube an Gott. Nachdenklich sah Hallen den Jungen an. Es schien, als ob der Junge ihn taxierte. Sein Blick machte ihn für einen Moment unsicher. Der Junge sah ihm nicht direkt in die Augen, sondern knapp an ihm vorbei. Hallen drehte sich um. Es war das Altarbild, das der Junge anschaute. Das Kruzifix hing seit dem 18. Jahrhundert dort, an einem Knie hatte sich ein Holzspan gelöst, aber man hatte es nie ausgebessert.
    Sie traten an den Altarring. Daniel wollte über die Chorschranke steigen, aber Hallen hielt ihn zurück.
    - Noch nicht, sagte er.

    Daniel sah das Kreuz an. Hallen beobachtete ihn von der Seite. Der Junge suchte mit dem Blick nach etwas, das fehlte. - Was suchst du?
    - Das Wasser.
    - Das Wasser?

    - Er konnte auf dem Wasser gehen.
    Hallen nickte. Eigentlich machte ihn das Wissen des Jungen unzufrieden. Er hätte gern all seine Kraft dafür eingesetzt, dieses schwarze Kind zu bekehren. Den Wilden in einen Menschen zu verwandeln. Nun schien jemand anders dieses Werk bereits begonnen zu haben.
    - Hast du ihn in der Wüste gesehen? Gab es dort eine Kirche?

    - Ich heiße Daniel. Ich glaube an Gott. Wo ist das Wasser?
    Hallen versuchte, seine Gedanken zu lesen. Daß ein Mensch aus der Wüste vom Wasser sprach, konnte er verstehen. Aber was war es, wonach Daniel eigentlich suchte? Hallen entschloß sich, behutsam vorzugehen. In dem trostlosen Einerlei, das sein tägliches Tun

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