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Die rote Antilope

Die rote Antilope

Titel: Die rote Antilope Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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bedeutete, konnte ihm der schwarze Junge immerhin die Herausforderung bieten, die ihm so lange gefehlt hatte.

    - Ich werde dir vom Wasser erzählen. Aber erst möchte ich von dir hören. Woher du kommst. Und warum du keine Schuhe an den Füßen haben willst.
    Daniel antwortete nicht. Er suchte weiter mit dem Blick nach dem Wasser. Hallen wartete.

    - Ich habe viel Geduld. Ich kann warten. Warum willst du keine Schuhe an den Füßen haben?

    - Sie sind schwer.
    - Schuhe sind schwer. Aber wenn dir kalt wird, kannst du krank werden.

    Daniel sagte nichts mehr. Hallen fuhr fort, seine Fragen zu stellen, erhielt aber keine weiteren Antworten. Der Kirchendiener, der Nylander hieß, kam herein.
    - Ich habe Besuch, sagte Hallen, der Nylander verabscheute. Sie hatten sich allzu viele Jahre aneinander gerieben. Öfter ertappte er sich bei dem Gedanken, daß er sich auf den Tag freute, an dem er Nylander würde beerdigen dürfen.
    - Ich habe ihn schon gesehen. Aber man fragt sich doch, was er hier macht.
    - Die Kirche ist für alle da. Die Wege, auf denen wir von oben geleitet werden, sind unergründlich. Außerdem wünsche ich nicht, Herr Nylander, daß Sie Branntwein unter dem Taufbecken verwahren.

    Nylander antwortete nicht, sondern ging wieder hinaus. Hallen hörte das Geklapper von Spaten. Nylander mußte ein Grab für einen alten Kätner schaufeln, der am kalten Brand gestorben war.
    Hallen wartete und wartete. Aber Daniel blieb stumm. Er suchte mit dem Blick nach dem, was fehlte.

    Hallen wartete eine halbe Stunde. Dann beschloß er, mit dem Jungen weiterhin Geduld zu haben. Es würde seine Zeit brauchen, ihm nahezukommen.

    - Du kannst morgen wiederkommen, sagte er. Wenn du auf meine Fragen antwortest, werde ich dir vom Wasser erzählen.
    Daniel machte einen Diener, nahm die Holzschuhe in die Hand und schlüpfte zur Kirchentür hinaus. Hallen ging in die Sakristei und setzte sich. Durch eins der kleinen Fenster sah er Nylander draußen stehen und schaufeln. Hallen merkte, wie sogleich Ärger in ihm aufstieg. Nylander war faul. Er arbeitete viel zu langsam. Ein Mann, der grub, sollte seine Arbeit mit Kraft und Ausdauer erledigen.
    Er schloß die Augen und sah sich in eine Wüste versetzt, wo schwarze Menschen sich im Gebet um ihn scharten. Er hatte einen weißen Tropenhelm auf dem Kopf, und er war sehr jung.
    Daniel lief von der Kirche schnurstracks zum Hügel hinter dem Haus. Als er ihn erreichte, hockte Sanna da und grub im Lehm. Er war froh, als er sie entdeckte.

    - Ich habe dich gesehen. Du bist in der Kirche gewesen. Was hast du da gemacht?

    - Ich habe den Pastor gefragt, wo das Wasser ist.
    - Was für ein Wasser?
    - Das Wasser, auf dem Jesus ging.

    Sanna hörte auf zu graben. Ihre Finger waren steif vom eingetrockneten Lehm. Daniel war sich nicht sicher, ob sie gehört hatte, was er sagte. Sie ergriff seine Hände und strich ihm mit einem Finger über den Handrücken. Vorsichtig kratzte sie an seiner Haut.

    - Du bist wirklich schwarz. Es geht nicht ab. Hat er nicht Angst gekriegt?

    - Wer?
    - Der Probst! Er muß gedacht haben, du bist ein echt er Teufel, der von der Wand heruntergestiegen ist.

    Ihre Hände waren rauh vom Lehm. Aber Daniel mochte es, wenn sie ihn anfaßte. Sie wollte nichts von ihm, im Gegensatz zu all den anderen, die seine Hände nahmen. Sie wollte ihn nur festhalten. Zum ersten Mal, seit er Kiko und Be tot im Sand gefunden hatte, gab es etwas, das ihn wirklich froh stimmte. Vater hatte ihn hintergangen, ihn so weit vom Meer entfernt zurückgelassen, wie er nur konnte. Aber das Mädchen namens Sanna konnte ihm vielleicht dabei helfen, es wiederzufinden.
    Sie musterte weiter seine Hände. Forschte in den Linien der Handfläche, zupfte an seinen Nägeln, drückte fest zu.

    - Wenn wir Kinder kriegen würden, wären sie grau, sagte Daniel.

    Sie lachte laut und schrill.
    - Wir können keine Kinder kriegen, schrie sie. Du bist noch
    ein Kind, und ich bin verrückt.
    Sie lehnte sich dicht an ihn. Sie roch nach Schweiß. Aber da war außerdem etwas Süßliches, das ihn an Honig erinnerte.

    - Ich höre Stimmen im Lehm, sagte sie. Alle, die da unten sind und flüstern. Ich kann es nicht ändern. Ich höre sie. Als einzige. Hörst du irgendwas?
    Daniel lauschte.
    - Du mußt den Kopf auf den Boden legen. Daniel drückte Wange und Ohr an den Boden.
    - Nicht das Ohr, flüsterte sie. Die, die da unten in der Erde sind, kann man nur hören, wenn man mit dem Mund oder der Nase lauscht.
    Daniel preßte

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