Die rote Antilope
plötzlich. Er ist verrückt, und er gehört nicht hierher.
- Er wohnt hier, brüllte Edvin. Ich bekomme monatlich zehn Reichstaler für ihn. Er wohnt hier, und er wird hierbleiben.
Der Knecht spuckte aus, wagte ihm aber nicht zu widersprechen.
Edvin sah Daniel wieder an. Daniel duckte sich weg.
- Er hat gesehen, was du im Sinn hattest, sagte Alma. Er hat gesehen, daß du ihn schlagen wolltest. Und du hast zugeschlagen.
- Ich habe ihn nicht angerührt.
- Es war aber, als würde er den Schlag fühlen, den du ihm verpassen wolltest.
Edvin forderte den Knecht mit einer Handbewegung auf, das tote Tier zu entfernen. Alma rief den Mägden zu, sie sollten wieder in den Stall gehen.
- So geht es nicht weiter. Wir müssen mit dem Pfarrer reden. Er kann vielleicht herausbekommen, wieso er es getan hat.
- Er hat Heimweh, sagte Alma. Es kann nichts anderes sein. Er hat Heimweh.
- Aber er hat kein Zuhause mehr. Schließlich sind doch alle tot? Das hat Bengler jedenfalls gesagt.
- Dieser Mann war ein großer Schwätzer. Ich habe nicht die Hälfte von dem geglaubt, was er gesagt hat.
Edvin sah auf seine Hände hinunter. Er sagte nichts mehr. Dann kehrte er wieder auf den Acker zurück.
- Was hat das Schwein dir denn getan? fragte Alma. Daniel spürte an ihrer Hand, daß sie ihm nicht böse war.
Vorsichtig umfaßte er ihr Handgelenk, um ihren Puls zu fühlen, und stellte fest, daß er gena uso ruhig schlug, wie Bes Herz es gewöhnlich getan hatte. Aber zugleich wußte er, daß er ihre Frage nicht beantworten konnte. Er hätte etwas sagen können, was nicht wahr war, daß er nicht wußte, warum er gezwungen war, das Schwein zu töten. Aber sie würde nie verstehen, daß der tückische Mann, der Kikos Mörder war, ihn aufgespürt und sich in ein Schwein verwandelt hatte.
Deshalb sagte er nur die Worte, von denen er wußte, daß sie niemals mißverstanden wurden.
- Ich heiße Daniel. Ich glaube an Gott.
Er zog die Holzschuhe an und verließ Alma. Der eine Schuh war blutig. Er spürte, wie der Fuß festklebte. Alma stand da und sah ihn an. Sie ist es, die in mich hineinsehen kann, dachte Daniel. Vor ihr muß ich mich in acht nehmen. Aber zugleich ist sie die einzige, die versteht, daß ich eigentlich nicht hier bin. Ich befinde mich woanders.
Er stieg auf den Hügel hinter dem Haus. Weit draußen auf dem Acker sah er Edvin und den Knecht. Sie waren dabei, einen großen Stein aus dem Boden zu wuchten. Ein Wind hatte sich erhoben. Die schwarzen Vögel hockten still und stumm in dem Gehölz. Daniel hielt nach der Sturmmöwe Ausschau. Er lauschte. Manchmal war ihm, als hörte er Trommeln in der Ferne. Aber dann wurde ihm klar, daß es nur der Wind war, der über die Äcker zog und dann wieder erstarb.
Er fror. Außerdem lief ihm die Nase. Er konnte sich schneuzen, so oft er wollte, trotzdem war seine Nase fast immer verstopft. In der Wüste war er nie erkältet gewesen. Dort hatte er mitunter Fieberanfälle bekommen und Bauchweh gehabt. Aber die Nase war ihm nie gelaufen.
Er spähte wieder zum Horizont. Edvin und der Knecht hatten es geschafft, den Stein auf einen Holzschlitten zu wälzen. Die beiden Pferde zogen und zerrten an dem Schlitten. Daniel war aufgefallen, daß Edvin seine Pferde niemals schlug. Vater hatte seine Ochsen gepeitscht. Aber Edvin schlug nicht. Er klatschte mit den Zügeln, aber nie so fest, daß es den Pferden weh tat.
Daniel suchte weiter mit dem Blick den Horizont ab, während er sich langsam im Kreis drehte.
Plötzlich entdeckte er etwas, das sich auf einem Feldweg auf der anderen Seite des Hügels bewegte. Der Weg führte zu einem Nachbarhof, wo eine Familie namens Hermansson wohnte. An einem der ersten Tage, nachdem Vater ihn verlassen hatte, waren Leute von diesem Hof gekommen, um ihn anzuschauen. Er hatte ihnen die Hand gegeben, einen Diener gemacht und es vermieden, ihnen in die Augen zu sehen. Es waren junge Leute gewesen, und sie hatten stumm dagestanden, mit offenem Mund, und ihn begafft. Schließlich war es Alma zuviel geworden, sie hatte Daniel in den Stall geschickt und gleichzeitig Kaffee für die Gäste aufgetischt. Er war im Stall geblieben, bis er Schritte über den Hof klappern hörte. Er hatte durch einen Spalt gespäht, und als die Nachbarn fort waren, war er herausgekommen.
- Sie werden sich daran gewöhnen, hatte Alma gesagt. Aber es ist schrecklich, wie die Leute glotzen können.
Mit dem Blick fixierte Daniel das, was sich auf dem Feldweg bewegte. Erst dachte
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