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Die Rote Spur Des Zorns

Die Rote Spur Des Zorns

Titel: Die Rote Spur Des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Spencer-Fleming
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die Gestalt von Rückleuchten an. Großer Gott! Er trat auf die Bremse, riss fast instinktiv den Lenker nach rechts und bemerkte einen winzigen Moment zu spät, dass das falsch, falsch, falsch war, denn schon drehte sich der Wagen um die eigene Achse, schlitterte und kam mit einem knirschenden Ruck zum Stillstand, der Dvoraks Kopf an die Kopfstütze schmetterte.
    Überall war der Geruch von Chardonnay, so intensiv, dass einem schlecht davon wurde. Emil rauschte es in den Ohren. Steve würde ihn umbringen, weil er diese Flasche kaputtgemacht hatte. Er holte tief Luft, hielt aber sofort den Atem an, als er ein Stechen in der Brust fühlte. Quetschung, vom Sicherheitsgurt. Er fasste sich in den Nacken. Wahrscheinlich geprellt. Irgendein scheußlicher Hiphop-Song hämmerte hinter ihm, dazwischen ein schnelles Stimmengewirr. Er stellte den Motor ab. Besser mal nachsehen, ob jemand ärztliche Hilfe brauchte, bevor er sich die Versicherungsnummer des Fahrers notieren würde. Dieser Idiot.
    Eine Tür schlug zu, und im selben Moment hörte er Schuhe oder Stiefel auf dem Asphalt, dann das Knirschen von Glas. »Schau, schau! Wen haben wir denn da!«, sagte die Stimme eines jungen Mannes voll unterdrückter Erregung. »Das ist doch eine von den Schwuchteln!« Wieder ein dumpfes Knallen, wieder knirschendes Glas und dazu johlende Stimmen, die den dröhnenden Bass fast übertönten. Dvoraks Hand erstarrte auf dem Türgriff. Idiot? Wer war hier der Idiot? Er beugte sich zu dem Handy auf dem Beifahrersitz, drückte die Einschalttaste und schaffte es, eine Neun und eine Null zu tippen, bevor ihn ein Schlag auf den Unterarm traf und er das Telefon fallen ließ. Von einem brennenden Schmerz durchzuckt, schnappte er nach Luft. Ein langer Arm streckte sich nach dem Handy und fischte es aus dem Auto.
    Dvoraks Jacke wurde von mehreren Händen gepackt, die ihn zur Tür hinzerrten, und er sah das Handy durch den Rand der Lichtkegel in den dichten jungen Mais fliegen. »Hey, Schwuchtel! Stehst du auf Schwanzlutschen? Stehst du auf kleine Jungs?« Sein Herz hämmerte doppelt so schnell wie der dumpfe, bedrohliche Song, während er die Hände abzuschütteln versuchte und nach seinem Zündschlüssel tastete. Vielleicht käme er hier ja doch noch raus, vielleicht könnte er ja doch noch fliehen. Da schlug ihn einer der jungen Männer fest auf die Schläfe. Supraorbitale Fraktur , dachte der Arzt in Dvorak – ein Teil seiner Persönlichkeit, den er nie abschalten konnte –, aber gleichzeitig trübte sich sein Sichtfeld, und der Schlüsselbund fiel klirrend außer Reichweite.
    Die Scheinwerfer beleuchteten den Mais, der so grün war, dass es einem in die Augen stach, und der von der Straßenböschung durch einen umgesackten Stacheldrahtzaun getrennt war. Die Fahrertür wurde aufgerissen, und Emil wollte an Paul denken, an seine Kinder, aber er hatte nur eins im Kopf: dass dieser Zaun genau wie der auf dem Umschlag des Time Magazine aussah – der Zaun, auf dem Matthew Shepard gestorben war, genau wie auch er jetzt sterben würde, und dass es mehr wehtun würde als sonst was.
    »Komm, du schwule Sau«, sagte einer der Typen, während Emil von seinem Sitz gezerrt wurde. Und die Qual begann.

2
    D ieses Zeug wird uns alle umbringen!«
    »Wozu überhaupt diese Versammlung? Das Problem hätte schon 1977 gelöst werden sollen.«
    »Ich möchte wissen, ob meine Enkel in Gefahr sind!«
    Die Hände des Bürgermeisters von Millers Kill umklammerten den Mikrofonständer, als könne er das anschwellende Stimmengewirr dadurch abwürgen. »Bitte, Leute. Ruhe! Versuchen wir doch die Diskussionsordnung einzuhalten! Ich weiß, es ist heiß, und ich weiß, dass ihr euch Sorgen macht. Skiff und ich hier werden eure Fragen so gut wie möglich beantworten. Jetzt setzt euch erst mal, meldet euch per Handzeichen und wartet, bis ihr dran seid.« Jim Cameron betrachtete seine Wähler mit erbostem Blick, bis die Hitzigeren unter ihnen wieder ihre angewärmten metallenen Klappstühle einnahmen.
    Reverend Clare Fergusson, die Pastorin der Episkopalkirche St. Alban’s, rutschte auf ihrem Platz ein paar Zentimeter zur Seite, denn sie war mit dem Direktor des Altenpflegeheims von Millers Kill hier, und sosehr sie diesen zusätzlichen Experten begrüßte, war Paul Foubert gute eins neunzig groß und zirka hundertdreißig Kilo schwer, sodass er nicht nur über die Sitzfläche seines Stuhles quoll, sondern auch noch Hitze ausstrahlte. Clare versuchte vergeblich, ihren

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