Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Rote Spur Des Zorns

Die Rote Spur Des Zorns

Titel: Die Rote Spur Des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Spencer-Fleming
Vom Netzwerk:
klar –, aber in den fünf Jahren, die er jetzt als Polizeichef fungierte, hatte er sehr viel Zeit mit Emil Dvorak verbracht: in der Pathologie, im Krankenhaus, auf den Gängen des Gerichtsgebäudes. Er dachte an den messerscharfen Witz des Mediziners, an dessen ordentliches Büro voll dicker Bücher und Opern-CDs, an dessen Sucht nach Polit-Debatten am Sonntagvormittag. An die Beschädigung dieses empfindlichen Gehirns, als jemand wieder und wieder darauf eingeschlagen hatte. Russ stieg die Galle hoch, dass er daran zu ersticken glaubte. Er folgte dem Krankenwagen über die Kreuzung und auf den Parkplatz der Feuerwache. Strahlendes Licht fiel aus den offenen Garagenboxen, ließ die eingestellten Lösch-und Rettungsfahrzeuge glänzen und brach sich in den Reflektorstreifen des Transporthubschraubers, der mitten im Hof gelandet war. Mehrere Feuerwehrmänner sahen vom Innern der Boxen aus zu. Russ folgte Clares Wagen in die hinterste Ecke des Parkplatzes, wo die Privatfahrzeuge standen.
    Das Team des Rettungshubschraubers – Notarzt, Krankenschwester und Pilot – kam im Laufschritt herbeigeeilt, um Emil ausladen zu helfen. Clare sprang aus dem Auto und wartete, während Paul sich aus dem Beifahrersitz hochkämpfte. Russ trat zu ihnen, um die Rettungsmannschaft nicht zu behindern, die Emil vorsichtig in den Helikopter verfrachtete.
    »Paul«, sagte er, »eine Frage bitte: Wo war Emil heute Abend?« Eine der Krankenschwestern trug den Infusionsständer, während die Bahre in den Laderaum des Hubschraubers hinaufgeschoben wurde. »Wissen Sie, was er gemacht hat? Mit wem er zusammen war?«
    Paul ließ die Gestalt nicht aus dem Auge, die nun im Rumpf des Helikopters verschwand. Dabei rieb er sich unentwegt die Hände an den Nähten seiner Shorts. »Emil ist bei ein paar Freunden von uns zum Abendessen gewesen. Stephen Obrowski und Ron Handler. In ihrem Hotel, dem Stuyvesant Inn. Er wollte direkt nach Hause fahren …« Seine Stimme verklang.
    »In Ordnung. Danke. Morgen werde ich mich mit denen unterhalten. Ich verspreche Ihnen: Die Kerle schnappen wir.« Russ wusste, das war ein schwacher Trost, gemessen an Emils zerschundenem Körper dort im Hubschrauber. Mit großen, rot geränderten Augen sah Paul Russ an.
    »Paul«, sagte Clare, »es wird Zeit. Der Pilot wirft gleich das Triebwerk an.«
    Es sah nicht aus, als wolle der Pilot so bald ins Cockpit steigen. Er hatte die Gurte neben der Tür festgemacht. Aber Clare musste es schließlich wissen; sie hatte diese Ungetüme in der Army geflogen, nicht Russ. Also ging er mit zur Einstiegsluke, der Pilot verschwand tatsächlich, und eine Sekunde später hörten sie das unangenehme Winseln anspringender Turbinen.
    Paul trat vor. Und stockte. »Die Hunde«, sagte er zu Clare. »Habe ich Sie schon gebeten, sich um die Hunde zu kümmern?«
    »Ja.« Sie rieb seinen Arm. »Gleich morgen früh. Ich werde sie in meinen Wagen packen und zum Hundezwinger rüberbringen. Nur keine Sorge.«
    Der Rettungsarzt sprang aus dem Helikopter. »Schnell«, sagte er. »Zeit zum Abflug.« Er hielt Paul einen Helm hin und half dem mächtigen Mann dabei, ihn aufzusetzen. Dann deutete er auf die Trittstange und die Gurte, wo Paul eine Art Notsitz einnehmen könnte. Der Infusionsständer hing zitternd an einem Haken, und die mit einem Flugoverall bekleidete Krankenschwester beugte sich über Emil, um etwas zu richten.
    Paul drehte sich zu Clare um. Sein struppiges braunes Kopf-und Barthaar stand unter dem Helm hervor. »Clare«, sagte er laut, »ich selber hatte mit Religion ja nie was am Hut, aber Emil war … Emil ist katholisch …«
    Clare trat direkt an ihn heran, damit er unter seinem massigen Helm von ihren Lippen ablesen könne. »Ich werde für ihn beten«, sagte sie mit normaler Lautstärke. »Für Sie beide werde ich beten.« Sie drückte ihm fest die Hand. »Haben Sie keine Scheu, die tröstende Hand Gottes zu ergreifen, wenn Ihnen danach zu Mute ist. Sobald es Emil besser geht, können Sie ja wieder Atheist werden. Ich verrate es niemand.«
    »Sir, wir müssen los!«, drängte der Notarzt und winkte Paul ins Innere des Hubschraubers. Er hievte sich hinauf, während Clare und Russ zurückwichen. Der Rotor über ihnen begann sich langsam, dann immer schneller zu drehen, bis sein hartes »Tschack-tschack-tschack« mit dem Winseln der Turbinen wetteiferte. Clare blieb vor dem Kühler des Rettungswagens stehen. Die Haare, die sich aus ihrem Knoten gelöst hatten, tanzten honig-, karamell-und

Weitere Kostenlose Bücher