Der Schatz von Njinjo (German Edition)
1. Wazungu sterben an Silvester
Mittwoch, 31. Dezember
Unvermittelt knarrt es aus dutzenden Lautsprechern, dann legt sich der Ruf des Muezzins wie ein mahnender Klangteppich über die Stadt: „Allāhu akbar!“. Gott ist groß, offenbar gibt es endlich wieder Strom. Melodisch schön, doch schreiend laut verstört dieser Singsang Petermann nun schon seit Tagen. Spätestens jetzt dürfte sein Freund wach sein. Tatsächlich plätschert hinter der Tür ihres Zimmers leise Wasser.
„Finn?“, fragt Petermann beim Eintreten in den kleinen Flur. Keine Antwort. Hört der ihn unter der Dusche etwa nicht? Petermann klopft gegen die Badezimmertür. Nichts passiert. Er drückt die Klinke, doch die Tür rührt sich nicht. Abschließen lässt sie sich nicht, wieso also klemmt das verdammte Ding auf einmal so? Als es ihm endlich gelingt, den Eingang einen Spalt breit aufzudrücken, knackt es, als berste ein Ast. Knöchelhoch schwappt ihm Wasser entgegen. Petermann schwant Böses.
„Finn?!“ Viel zu laut ruft er noch einmal nach dem Freund.
Mit Gewalt presst er sich nun gegen die Tür, zwängt sich ins kleine Bad. Vor ihm liegt merkwürdig verkrümmt ein korpulenter Mann auf dem Boden und verstopft den Abfluss. Instinktiv greift Petermann über den leblosen Körper und dreht die Dusche ab: kein Atmen, kein Puls, kein Stöhnen, kein Reflex. Aus Finns blutleerem Gesicht starren ihn weit aufgerissene Augen an. Jens Petermann muss kotzen. Zum ersten Mal seit seiner Ankunft in Tanzania vor drei Tagen war er heute Morgen aufgestanden, um sich ein wenig umzuschauen, und prompt sitzt er in der Scheiße.
Finn Schütte, gerade vierzig und ein deutliches Stück zu schwer, liegt auf der Seite. Der linke Arm zeigt in unmöglichem Winkel an die Decke. Eine klaffende, vom Duschwasser ausgewaschene Platzwunde zieht sich mitten durch den Bürstenhaarschnitt. Der fast trockene Nacken ist blutverschmiert.
Heute Morgen hatte Finn endlich einmal ausschlafen wollen, deshalb war er überhaupt im Hotel geblieben. Die letzten Tage hatten den Norddeutschen geschlaucht. Noch vor einer Woche war er auf dem Kilimanjaro herumgeklettert. Und nun diese brütende Hitze hier an der Küste mitten im Winter!
Kurz nach Weihnachten hatte sich Jens Petermann mit seinem Freund Finn in Dar es Salaam, Tanzanias größter Stadt, getroffen. Ein heißfeuchter Moloch direkt am Indischen Ozean, tolle Bucht, Millionen Squatter, viel Verfall. Petermann, ganz anders als Schütte schlank und über einsachtzig groß, hatte zu Hause einen Riesenkrach riskiert, die Silvesterparty fahren lassen und sich vier Wochen unbezahlten Urlaub genommen, alles, um mit seinem Freund dessen Familienschatz zu finden. Ein Kindheitstraum. Sonntagmittag war er in Hamburg losgeflogen, über Amsterdam nach Nairobi, Montagmorgen hatte Finn ihn am Julius Nyerere International Airport in Dar es Salaam abgeholt, wie vereinbart.
Beim Aussteigen war sich Petermann vorgekommen, als laufe er gegen eine Wand, so dick, so schwül war die Luft, die vor dem Flugzeug stand. Halb bewusstlos hatte er die Einreisekontrolle über sich ergehen lassen, „ Karibu! Welcome! Passport, please! “. Auch beim Zoll war es reibungslos gelaufen, trotz seines recht unhandlichen Gepäcks. Vielleicht war es tatsächlich eine gute Idee gewesen, den Metalldetektor in der Golftasche seiner verstorbenen Oma zu verstauen. Mit dem Taxi hatten die beiden Freunde danach eine gefühlte Ewigkeit im stinkenden Verkehr auf der Pugu Road verbracht, immer viel zu weit links, ehe sie ihr Hotel erreichten, das „Continental“ im Stadtkern – großer Name, nur kein Stern.
Seitdem hatte Petermann mehr oder weniger durchgängig erschlagen unterm Ventilator auf dem Bett gelegen, während sein Freund Finn erzählte. Die rappelnde Klimaanlage lief Sturm gegen die unverschließbaren Lamellenfenster, Hauptsache, die Stromversorgung funktionierte. Heute Morgen war Petermann zum ersten Mal ausgegangen, wollte sich ein wenig die Stadt ansehen. Am Abend hatte er mit Finn auf die Piste gehen wollen, um zusammen Silvester zu feiern. Und nun war der tot!
Petermanns Freund Finn Schütte war seit Montag ruhelos umhergezogen, um Auskünfte einzuholen. Einen vollen Tag hatte er im tanzanischen Nationalarchiv verbracht. Dummerweise war die Hamburger Historikerin noch im Weihnachtsurlaub, von der er wusste, dass sie dort im Auftrag irgendeiner gut zahlenden deutschen Stiftung mit der Sichtung kolonialer Dokumente beschäftigt ist. So
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