Die Rote Spur Des Zorns
sie in ihren Terminkalender. Zwei Traugespräche, drei nächste Woche. Wer die Behauptung aufgestellt hatte, die Generation X sei an der Ehe nicht interessiert, der kannte die Adirondacks nicht. Anschließend die Probe für die MacPherson-Engels-Hochzeit am Freitagabend. Diesen Termin unterstrich sie. Sie hinterließ Lois, ihrer Pfarrsekretärin, eine Notiz, den Küster beziehungsweise Organisten daran zu erinnern, dass er Samstagmorgen um acht das Portal aufschließen solle, damit die Floristin Gelegenheit hätte, das Hochzeitsdekor zu arrangieren. Dann stürmte sie ins Pfarrhaus nebenan, um sich umzuziehen. Sie wählte ein langes, lose sitzendes Kittelhemd aus schwarzem Leinen und befestigte einen weißen Kragen daran – ein Kompromiss zwischen ihrer normalen Priestertracht und dem Wetter.
Es versprach wieder ein Tag von über dreißig Grad zu werden, aber das Gewitter gestern Abend hatte die Luft gereinigt. Der leichte, trockene Wind erinnerte Clare an das wunderschöne Wetter in West Virginia bei ihren Eltern. Sie hatte das Verdeck ihres Kabrios zurückgeklappt, und wenn erst Pauls Hunde versorgt wären, bliebe vor ihren beiden Traugesprächen heute Nachmittag vielleicht noch ein bisschen Zeit für eine Spritztour.
Bei der Ankunft vor Emils und Pauls malerischem altem Farmhaus gerieten ihre Pläne zum ersten Mal ins Wanken. Aus irgendeinem Grund hatte sie sich die Hunde klein vorgestellt – wie Jack Russells oder Pudel vielleicht. Die beiden Tiere, die aus der angebauten Scheune erschienen, waren hingegen groß. Richtig groß. Zwei zottige, springende, bellende schwarz-weiße Bernhardiner. Sie schaute auf die winzige Rückbank des Shelby, wo zwei Jack Russells gemütlich Platz gehabt hätten. Dann schaute sie wieder zu den Hunden, die aufgeregt an einem unsichtbaren Zaun entlangjagten. »Oh … Schande«, sagte sie.
Die Tiere waren völlig aus dem Häuschen, Clares Bekanntschaft zu machen. Sie sprangen an ihr hoch, während sie vom Zufahrtsweg querfeldein über den Rasen ging, drückten und rieben sich an ihr, patschten mit ihren Pfoten nach dem knöchellangen Kleid und leckten ihr frenetisch die Hand. »Ihr seid nicht gerade schüchtern, was?«, sagte Clare. Die beiden Hunde entdeckten Clares sandalenbekleidete Füße und fingen sofort an, ihr die Zehen zu lecken. »Aus!«, kreischte sie. »Platz!« Sie ließen ihr Hinterteil auf den Boden plumpsen, blickten erwartungsvoll zu ihr hoch und klopften dabei mit ihren Schweifen auf den Rasen. Clare suchte zwischen Händen voll seidigen Fells nach den Hundemarken der beiden. »Okay, Gal und … Bob?« Die Tiere wedelten noch energischer mit dem Schweif. »Wie kann man denn einen Hund Bob nennen?« Sie seufzte. In der Notaufnahme hatte Paul gesagt, die Fressnäpfe und Leinen seien in der Scheune. »Na los, kommt«, sagte Clare. »Holen wir eure Sachen. Und dann versuchen wir, euch im Wagen zu verstauen.«
Zu guter Letzt musste sie Gal, die etwas kleiner war, quer auf die Rückbank quetschen, sodass Kopf und Schwanz des Tieres über die Seiten hinausragten. Bob hingegen balancierte mit tellergroßen Pfoten auf der Kante des glatten Beifahrersitzes. Der Kofferraumdeckel wollte über dem Sammelsurium von Leinen, Fressnäpfen, fünfzig Pfund Futter und Quietsche-Spielzeug kaum zugehen – Letzteres angeschleppt und Clare vor die Füße gelegt, als sie die Sachen einlud.
Beim Hundezwinger wurden ihre Pläne erneut vereitelt. »Tut mir leid, Reverend Fergusson«, sagte die mollige blonde Besitzerin, während sie die Tiere am Kopf kraulte. »Unsere großen Laufgehege sind nächste Woche alle ausgebucht. Es ist Nationalfeiertag, und viele Leute fahren übers Wochenende weg.« Sie ging in die Hocke, um Gal mit geballter Faust die Schlappohren zu massieren und sie auf die Schnauze zu küssen. »In etwas Kleinerem kriegen wir diese beiden nicht unter. Du könntest dich ja gar nicht bewegen, nicht wahr, Süße?« Die Frau blickte bedauernd zu Clare auf. »Drüben in Saratoga gibt es natürlich noch ein paar Zwinger, aber da würde ich vorher anrufen. Dieses Wochenende dürfte es schwer sein, freie Plätze zu finden. Vielleicht können sich ja irgendwelche Freunde oder Bekannten um die Tiere kümmern?«
Und so kam es, dass Clare ihre »kleine Spritztour« unerwartet mit einer Ladung von neunzig Kilo Hund unternahm. Sie kannte nur zwei Freunde von Paul und Emil: die Eigentümer des Stuyvesant Inn, die Paul gestern Abend erwähnt hatte. Vielleicht würden die ihr ja ihre
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