Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Rote Spur Des Zorns

Die Rote Spur Des Zorns

Titel: Die Rote Spur Des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Spencer-Fleming
Vom Netzwerk:
sirupfarben im Aufwind des Rotors. Russ stutzte, als er den Ausdruck auf Clares Gesicht bemerkte.
    »Das vermissen Sie wohl?«, brüllte er durch den Motorenlärm. Sie zuckte mit den Schultern, ohne den Hubschrauber aus den Augen zu lassen. Russ spürte die Erschütterung durch seine Schuhsohlen. Bei einem Blick in das Cockpit erkannte er hinter der rauchfarbenen Plexiglasscheibe schemenhaft und verzerrt die Umrisse des Piloten. Der Rhythmus der Rotorblätter schwoll zu einem Geräusch an, das er bis heute manchmal in seinen Albträumen hörte. Dann erhoben sich die Kufen vom Boden, prallten noch einmal leicht auf, blieben zirka fünfzehn Zentimeter über dem Asphalt in der Schwebe, und einen Moment später stieg die ganze Maschine himmelwärts – ein dickes, fliegendes Fabelwesen, das in die Dunkelheit über Glens Falls entschwand.
    Clare und Russ sahen ihr nach. Ein frischer Wind kam auf, und von den Bergen vernahm Russ ein Grollen. »Ist das nicht gefährlich, wenn sich ein Unwetter zusammenbraut?«, fragte er Clare.
    »Hm. Kein Problem. Sie fliegen südwärts, vor der Gewitterfront. Sie kann sie nicht einholen.« Eine Bö blies einen Zeitungsfetzen über den Asphalt. »Tut gut, was?«
    »Ich hasse Hubschrauber«, sagte er.
    Sie sah ihn verblüfft an. Etwas klopfte an die Windschutzscheibe des Rettungswagens hinter ihrer Schulter, und der Fahrer lehnte sich aus dem Seitenfenster. »Würdet ihr wohl ’n bisschen Platz machen, Leute? Ich muss wieder zur Klinik. Meine Schicht fängt an.«
    Russ und Clare zogen sich zu ihren Autos zurück, und Russ winkte dem Krankenwagen nach.
    »Hassen Sie Hubschrauber an sich oder hassen Sie das Fliegen darin?«, fragte Clare, während sie die Arme verschränkte.
    »Ich weiß nicht. Beides, nehm ich an. Ich hatte mal ein schlimmes Erlebnis mit einem.« Sein Gehirn wurde von Bildern bedrängt. »Scheiße! Ich wollte ja mit dem Arzt reden! ’tschuldigen Sie den Kraftausdruck.«
    »Ich habe ihm bei seinem Gespräch mit Paul zugehört. Viel Fachlatein, aber der Kern der Sache waren wohl mehrere Rippenbrüche, innere Blutungen, Gehirnerschütterung … Klingt, als hätte jemand Dr. Dvorak die Scheiße aus dem Leib geprügelt.« Sie blickte zu Russ auf. »’tschuldigen Sie den Kraftausdruck. Was ist passiert? Weshalb, um Gottes willen, sollte jemand versuchen, den Bezirkspathologen totzuschlagen?«
    Russ schüttelte den Kopf. »Vielleicht ist es ja genau das. Er arbeitet jetzt zehn Jahre für uns als Pathologe, und wenn er auch nie in einen schweren Kriminalfall verwickelt war, hat er bestimmt einige Leute nach Comstock gebracht – möglicherweise jemandes Bruder oder Kumpel. Vielleicht ist jemand, der durch ihn ins Kittchen kam, entlassen worden, ohne dass die Rehabilitierung zum Musterbürger gelungen ist.«
    Clare warf Russ einen erbitterten Blick zu. »Kommen Sie mir bloß nicht damit. Wenn wir Strafgefangenen mehr Hilfe bieten könnten, dann –« Sie winkte ab und schnaubte. »Vergessen Sie’s. Jedenfalls scheint mir dieses Szenario ein bisschen weit hergeholt. Ich meine, angenommen, Sie wären so ein Typ, frisch aus dem Gefängnis entlassen und rachelüstern?«
    »›Lüstern‹?«
    Sie ignorierte ihn. »Wären Sie dann zuerst hinter dem Pathologen her, der irgendeinen Beweis erbracht hat? Oder hinter dem Anklagevertreter, den Ermittlungsbeamten – sogar Ihrem eigenen Anwalt?«
    »Sie kennen meine Einstellung zu Anwälten. Die würde ich mir unbedingt als Erstes vorknöpfen.« Clare gab ihm einen leichten Klaps auf den Arm. »Nein, ich weiß schon. Ihre Einwände haben etwas für sich. Aber es gibt noch eine Möglichkeit: einen Autounfall, nicht schwer genug, um Emils Verletzungen zu erklären, aber immerhin so, dass jeder der Beteiligten ziemlich was abkriegte. Vielleicht hat der andere Fahrer durchgedreht. Ist auf ihn losgegangen.«
    »Amoklauf eines erbosten Kraftfahrers?«
    »Das kommt vor.«
    Sie nagte an ihrer Unterlippe. »Könnte auch etwas Persönliches dahinter stecken? Ein Bekannter von ihm?«
    Russ nickte. »Bei den meisten Gewaltdelikten kennen Täter und Opfer sich persönlich. Deshalb habe ich Paul ja gefragt, wo Emil gewesen ist.« Er fuhr sich mit der rechten Hand durchs Haar. »Ich weiß nicht. Bisher sind zu viele Möglichkeiten offen. Das gefällt mir nicht. Das Einzige, was wir mit Bestimmtheit wissen, ist die Farbe des anderen Wagens. Wir haben rote Lackspuren an Emils linkem vorderem Kotflügel gefunden.«
    »Und wir wissen, dass er nicht ausgeraubt

Weitere Kostenlose Bücher