Die Rückkehr der Jungfrau Maria
dass er geplant hatte, einen Roboter zu benutzen, um herauszufinden, ob sie noch Jungfrau war. Jetzt, da sie sich in seiner Gewalt befand, konnte er seinen Plan durchführen. Meine Angst verwandelte sich in lähmende Verzweiflung. Der Kellner kam mit der Rechnung, aber ich brachte kein Wort heraus, und als ich bezahlen wollte, war ich wie erstarrt.
Aber ich durfte jetzt nicht zusammenbrechen, nur ich wusste, dass Maria von Sebastian und seinen Männern gefangen gehalten wurde, und ihr Leben hing davon ab, was ich tat. Um mich wieder in den Griff zu bekommen, verbot ich mir, daran zu denken, was sie in Sebastians Händen möglicherweise durchmachen musste. Ich durfte keine Zeit verlieren und musste sie befreien. Aber wie sollte ich sie finden? Wo sollte ich anfangen zu suchen? Sie konnte überall sein, sogar in einem anderen Land. Selbst die Polizei würde Schwierigkeiten haben, sie zu finden, geschweige denn ich, der ich schon genug damit zu tun hatte, mich selbst vor den Hütern des Gesetzes in Acht zu nehmen. In dieser Situation konnte ich auf gar keinen Fall auf eigene Faust die Suche organisieren. Und wenn ich die Polizei anrief und erklärte, dass Maria nicht bei mir, sondern als Geisel bei Sebastian sei, würde sie das bestenfalls als guten Witz ansehen. Niemand würde mich ernst nehmen. Offiziell nahm man an, dass Maria bei mir sei, deshalb befand sich die Polizei im falschen Glauben, solange ich frei war. Wenn es auch nur die geringste Chance geben sollte, dass Maria gefunden wurde, musste ich mich stellen.
Eine ganze Weile zerbrach ich mir den Kopf, in der Hoffnung auf eine andere Lösung, aber das Ergebnis war immer dasselbe. Das Beste, was ich für Maria tun konnte, war, mich in Polizeigewahrsam zu begeben. Ich wählte die Nummer der Polizei, hörte aber mittendrin auf und rief stattdessen bei Judith, Marias Ziehmutter, an.
»Was willst du von mir, Michael?«, fragte sie mit scharfer Stimme, als ich meinen Namen genannt hatte.
»Ich will mich der Polizei stellen, aber erst frage ich dich: War ich in der Nacht, als ich Maria verlassen habe, bei dir?«
»Nein, ich bin dir im Treppenhaus begegnet. Du warst sehr aufgeregt und zu allem in der Lage. In diesem Zustand bist du rausgerannt.«
»Ich war also in der Nacht nicht bei dir?«
»Nein.«
»Maria ist entführt worden, und das Einzige, was ich tun kann, um die Suche nach ihr zu unterstützen, ist, mich zu stellen. Du bist die Einzige, die bezeugen kann, dass ich in der Nacht bei euch war.«
Judith schwieg. Ich fand es seltsam, dass sie nicht einfach auflegte, wenn sie schon so abweisend und kurz angebunden war. Erwartete sie trotz allem etwas von mir? Nach langem, drückendem Schweigen sagte ich mit unsicherer Stimme:
»Darf ich vorbeikommen und heute Nacht dir gehören?«
»Mir allein?«
»Ja, dir allein, so wie in der Nacht, als ich Maria verlassen habe und du mich in deine Wohnung gelassen hast, weil sie mir nicht das geben konnte, was ich brauchte.«
»Komm«, sagte Judith und legte auf. Ich taumelte zurück zum Tisch und ließ mich auf einen Stuhl fallen, sah meine Tränen auf die Tischplatte tropfen. Zwei Flecken, die sich nicht miteinander vermischten.
Wenn die Tränen versiegen, bin ich menschlich.
Am nächsten Morgen rief ich von Judith aus die Polizei an. Eine Viertelstunde später wurde ich festgenommen.
Man klagte mich zweier Dinge an: der Ermordung Salomes und der illegalen Befreiung Marias aus dem Gefängnis. Beide Fälle weckten das Interesse der Medien und der Öffentlichkeit. Das beschleunigte das Vorgehen der Behörden, aber ich wollte die Bearbeitung des Falls noch weiter vorantreiben, damit er bald vor Gericht kam und Einfluss auf die Suche nach Maria hatte. Deshalb gab ich alle möglichen Statements in den Medien ab, besonders über Sebastian und seine Mitwirkung an Marias Verschwinden. Außerdem wollte ich ihm Angst einjagen, damit er sich nicht traute, ihr etwas anzutun.
Durch die Vermittlung meines Anwalts bekam ich Kontakt zu der Journalistin, die den Fernsehbeitrag Stipendienbetrug oder ein neuer Messias über Maria gemacht hatte, den ich in der heruntergekommenen Pension im Industrieviertel gesehen hatte. Es gelang mir, sie davon zu überzeugen, dass Sebastian einen Roboter für die Untersuchung von Marias Jungfräulichkeit benutzen wollte, und ich brachte sie dazu, Zeugen ausfindig zu machen, die das bestätigen konnten. Als das geschafft war, ermunterte ich sie, Ausschnitte aus Interviews mit Sebastian
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