Die Rueckkehr des Daemons
plötzlich so klein und zerbrechlich aus, dass es Sid fast das Herz brach. Ihre roten Haare stachelten sich in das Kissen, der schwarze Lidstrich unter dem rechten Auge war leicht verlaufen. Es war schön, neben ihr aufzuwachen, stellte er verwirrt fest. Auch wenn der Traum so schrecklich gewesen war wie die Wirklichkeit in dieser Gegend.
Sid zerrte an dem T-Shirt, das ihm Rascal geliehen hatte, Kurt Cobains Kopf mit der Aufschrift nevermind darunter. Hatte der sich nicht erschossen? Der Stoff klebte ihm wie eine zu enge Haut auf der Brust, Kurt schielte verzerrt. Der Ekel über seinen Traum wollte nicht weichen. Er stellte sich vor, Menschenfleisch zu essen. Widerlich! Fast konnte er das Blut und die rohen Innereien noch auf der Zunge schmecken.
Er rieb sich kräftig die Augen, aber die Bilder verschwanden nicht. Er starrte seine Hände an. In seinem Traum hatten sie sich in Klauen verwandelt.
Einige Strahlen der Straßenbeleuchtung quetschten sich durch die Verschalung vor dem Fenster. Sid entdeckte eine halb leere Colaflasche in einer Ecke. Vielleicht ließ sich damit gegen den widerwärtigen Geschmack in seinem Mund ankämpfen. Benommen stolperte er durch den Raum. In einem einzigen langen Zug saugte er die braune Flüssigkeit in sich auf und spülte zwei Tabletten in seinen Magen. Von draußen blitzte in gleichmäßigen Abständen ein blaues Licht in die Wohnung, dazu jaulte ein Martinshorn. Sid schielte vorsichtig durch einen Spalt zwischen den Brettern. Drei Polizisten des NYPD stiegen aus ihrem Wagen, zwei Schwarze, ein Weißer. Nervös blickten sie sich um. Uniformen waren in dieser Gegend sicherlich nicht willkommen.
Als sie sich einer Gruppe Jugendlicher näherten, stoben die Kids auseinander und gaben den Blick auf einen zusammengekrümmten Körper frei. Er lag in einer großen Blutlache mit dem Gesicht nach unten und war nackt. Zwei der Officer sicherten den Tatort mit gestreiftem Plastikband, der dritte versuchte ein verschüchtertes Mädchen auszufragen, den einzigen Menschen, der jetzt noch auf der Straße war.
Sid schauderte. Ein Mann stirbt, ein Mann rennt weg, es schien wie ein Naturgesetz. Als die Polizisten den Nackten auf den Rücken wuchteten, wurde Sid schwindelig. Zwar war der Central Park nachts auch nicht gerade sicher, einen Toten hatte er trotzdem noch nie gesehen. Er drehte sich weg. Nur langsam drang in sein Bewusstsein vor, dass auch hier drin etwas nicht stimmte. Die Wohnungstür stand sperrangelweit auf.
»Rascal, wach auf, verdammt!«
Mühsam schlug sie die Augen auf. »Jetzt schon?«, protestierte sie schwach. »Es ist doch höchstens…«
»Jemand war hier!«, schrie Sid. »Die blöde Kommode hat nichts genutzt!«
Hektisch sah er sich um. Nichts schien zu fehlen, es sei denn…
»Steh auf!« Rascal sah ihn fragend an. »Runter von der Matratze, verdammt!«
Ohne darauf zu warten, dass sie seinem Gebrüll Folge leistete, hastete er zum Lager und riss die Matratze in die Höhe. Rascal knallte mit ihrem Kopf gegen die Wand. Sie beschwerte sich nicht. In ihren Augen blitzte plötzlich eine Vorahnung auf. »Ist es…?«
»Ja«, antwortete Sid matt. »Das beschissene Buch ist weg!«
46. Kapitel
NYC , Mittwoch, 10. Oktober 2007, 5 Uhr 15
Der Nachtportier im Chelsea starrte ihn angsterfüllt an. Voller Panik wühlte er ziellos im Schlüsselkasten herum, vielleicht auf der Suche nach einer versteckten Pistole. Er brauchte nur eine Formel, um dem Mann die Erinnerung zu nehmen. Das Treppenhaus war wie ausgestorben, die Besucher der Stadt, die niemals schlief, schliefen fest und selig.
Birger Jacobsen trat in sein Zimmer und verschloss die Tür. Bis auf das hektische blaurote Flackern einer Neonreklame war es stockdunkel. Ruhig zog er die Vorhänge zu. Der pompöse Kamin an der Rückwand war nichts weiter als eine funktionslose Attrappe. Also zerknüllte er einen Hotelprospekt und das Fernsehprogramm und stopfte beides in den Abfalleimer. Ein gutes altes Streichholz brachte sie zum Brennen. Als wären die Flammen seit Jahren in dem Papier eingesperrt gewesen, züngelten sie augenblicklich in die Höhe. Hungrig leckten sie über die bunten Bilder, die mehr und mehr zusammenschrumpelten.
Höchst zufrieden mit dem Ausgang der Nacht zog Birger Jacobsen den etwas zu knappen Sportblouson aus und warf ihn in das Feuer. Eine Formel, und der Qualm des schrumpelnden Nylons wanderte geordnet zum Fenster. Unter der Knute seines Befehls drückte er sich gehorsam durch den schmalen Ritz
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