Die Rueckkehr des Daemons
unter dem nächtlichen New York hindurchtauchen, dann waren sie endlich am Ziel. Sid hatte vollkommen die Orientierung verloren. Er trug den schweren Seesack, der ihr Reisegepäck enthielt. Rascal war emanzipiert genug, sich von einem Mann helfen zu lassen.
An ihrer Seite spürte Sid nicht den Hauch von Angst, als sie sich durch einen Block mit Abbruchhäusern direkt am Hudson bewegten. Die Gegend war nass, dunkel und unheimlich, höchstens jede dritte Straßenlaterne funktionierte. Sid sah sich erwartungsvoll um, hierher hatte sich der Bentley selbstverständlich noch nie verirrt.
Vor einer abrissreifen Lagerhalle stand eine Gruppe von etwa zwanzig Punks zusammen, viele mit Irokesenschnitt, einige mit anderen, asymmetrischen Frisuren oder rasierten Köpfen.
Als sie sich ihnen näherten, spürte Sid ihre skeptischen Blicke auf sich geheftet. Scheinbar fiel er mit seinem neuen Haarschnitt nicht gleich durch ihr Raster, denn keiner machte eine krumme Bemerkung über sein Aussehen. Aus einer Ecke vor einem bodentiefen Fenster mit eingeschlagenen Scheiben kroch Joey Ramone hervor.
»Rascal, da bist du ja!«, rief er erfreut. Jetzt wurde sie auch von den anderen erkannt. Ein paar Mädchen fielen ihr überschwänglich um den Hals. Sid wischte sich eine schwarze Franse aus der Stirn.
»Wer ist denn der coole Typ da bei dir?«, zischte ihr ein Mädchen mit Leopardenmuster in den Haaren zu. Rascal zwinkerte ihm verschwörerisch zu. Damit bist du gemeint, sollte ihr Blick wohl bedeuten.
Sid fühlte, wie er innerlich wuchs. Offensichtlich war er nicht mehr als Spießer zu erkennen. Hatten ihn die letzten Tage so verändert oder ließen sich die anderen von seinem Äußeren blenden? Seine Klamotten waren mittlerweile schon ziemlich abgeranzt.
Plötzlich kreischten in dem Gewölbe gleichzeitig mehrere Instrumente los. Ein Plakat, mit Klebestreifen dilettantisch am verrosteten Eisentor ausgehängt, kündigte Der Verbotentrio an.
Rascals Hand schob sich in seine. »Komm, wir gehen rein. Unser Helfer wartet schon auf uns.«
Unsicher ließ sich Sid von ihr in die Halle ziehen. Als sich seine Augen an das schummrige Licht gewöhnt hatten, entdeckte er, woher der Krach kam. Auf einer schmierigen Bühne standen drei Musiker. Ein Riese von fast zwei Metern drosch mit den Fäusten auf seinen Bass ein, ein spindeldürrer Kerl ließ die Finger in atemberaubendem Tempo über die Gitarrensaiten gleiten, ein Typ mit Dreadlocks und einem eng anliegenden Frauenkleid bearbeitete das Schlagzeug. Fünfzig bis sechzig ebenso fantasievoll angezogene Fans hüpften aufgeregt vor ihnen hin und her. Dann dröhnte ein gigantischer Rülpser aus den Boxen. Der schwarze Vorhang hinter der Bühne wurde zur Seite gerissen und der Sänger der Band rutschte auf den Knien über die Bretter bis kurz vor sein Publikum. Er stellte alles an Individualität in den Schatten, was Sid jemals gesehen hatte: Der Mann wog mindestens zweieinhalb Zentner, seine dünnen fuchsroten Haare standen ihm wie eine Clownsperücke vom Kopf ab. Außer einer knappen Rippenunterhose und einem weißen Netzhemd, unter dem jede Speckfalte zu sehen war, hatte er nichts an. Mit rollenden Augen leckte er lasziv den Stiefel des Bassisten ab, dann rülpste er erneut in sein Mikro. Das erste Lied begann, er sang auf Deutsch.
Sid wollte Rascal einen skeptischen Blick zuwerfen, aber seine Begleiterin wiegte bereits ihre Hüften.
»Irre, nicht?«, brüllte sie zu ihm herüber. Aus sicherer Entfernung von den jetzt völlig ausflippenden Punks beobachtete er sie. Rascal fand den versteckten Takt des Songs und nahm ihn mit ihrem ganzen Körper auf, jedes Haar an ihr bewegte sich im passenden Moment. Sie war einfach toll! Irritiert merkte Sid, dass auch sein rechtes Bein bereits mitstampfte. Als der Refrain kam, grölte der ganze Saal mit, auch Rascal sang, als sei Deutsch ihre Muttersprache. [7]
Wir sehn unmöglich aus
Wir sind der Zeit voraus
Wir sind die wunde Stelle
Mitten unter euch.
Wir sind ein Schattenriss
Aus Knochen, Fleisch und Blut
Wir stehen auf der Schwelle
Einer neuen Zeit.
Mitten im anschließenden Gitarrensolo kletterte der Fettklops auf den Boxenturm. Offensichtlich war er volltrunken, denn er rutschte von der Kante ab und knallte ein paar Meter in die Tiefe. Sekundenlang hielt der ganze Saal den Atem an, nur seine Musiker spielten unbeeindruckt weiter. Pünktlich zu seinem Einsatz tauchte der Sänger wieder auf, aus einer Wunde am Arm blutend. Sein stierer Blick machte Sid
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