Die Rückkehr des Drachen
bemerkte den Duft des Kaninchens kaum, obwohl ihm kurz durch den Kopf ging, daß er sich im nächsten Dorf oder der nächsten Stadt Salz besorgen mußte. ›Rose des Morgens‹ war eine der Melodien, die er bei den Hochzeiten gespielt hatte.
Wie viele Tage ist das nun her? Waren es wirklich so viele, oder bilde ich mir das nur ein? Daß sich jede Frau im Dorf gleichzeitig entschloß, sofort zu heiraten? Wie hieß das Dorf wieder? Bin ich schon dabei, dem Wahn zu verfallen?
Schweiß rann ihm über das Gesicht, aber er spielte weiter, wenn auch so leise, daß er es gerade noch hören konnte, und er starrte weiter ins Feuer. Moiraine hatte ihm gesagt, er sei ta'veren. Alle sagten, er sei ta'veren. Vielleicht war er es wirklich. Solche Menschen... veränderten... die Dinge in ihrer Umgebung. Ein Ta'veren konnte all diese Hochzeiten verursacht haben. Aber das war schon zu nahe an einem anderen Gedanken, den er aus seinem Kopf verbannen wollte.
Sie sagen auch, ich sei der Wiedergeborene Drache. Alle behaupten es. Die Lebenden wie die Toten. Deshalb muß es noch nicht stimmen. Ich mußte mich von ihnen zum Wiedergeborenen Drachen ausrufen lassen. Pflicht. Ich hatte keine andere Wahl, aber deshalb muß es doch nicht stimmen.
Er schien einfach nicht aufhören zu können, immer wieder diese eine Melodie zu spielen. Sie erinnerte ihn an Egwene. Einst hatte er geglaubt, er werde Egwene heiraten. Es schien lange Zeit her gewesen zu sein. Das war jetzt sowieso vorbei. Aber sie war in seinen Träumen zu ihm gekommen. Vielleicht war sie es wirklich. Ihr Gesicht. Es war ihr Gesicht.
Aber es waren so viele Gesichter gewesen, Gesichter, die er kannte: Tam und seine Mutter und Mat und Perrin. Alle versuchten, ihn zu töten. Natürlich waren es nicht wirklich sie alle gewesen. Nur ihre Gesichter auf Kreaturen des Schattens. Er glaubte jedenfalls, daß sie es nicht gewesen waren. Es schien, daß sogar in seinen Träumen diese Kreaturen des Schattens bereits ihr Unwesen trieben. Waren das nur Träume? Manche Träume waren Wirklichkeit, das wußte er. Und andere wieder waren nur Träume, Alpträume oder Hoffnungen. Doch wie sollte man sie voneinander unterscheiden? In einer Nacht war Min durch seine Träume gegangen und hatte versucht, ihm ein Messer in den Rücken zu jagen. Er war noch immer überrascht davon, wie sehr ihn das getroffen hatte. Er war unvorsichtig gewesen, hatte sie zu nahe an sich herangelassen. Seine Wachsamkeit hatte nachgelassen. Aber bei Min hatte er das Gefühl, er müsse nicht wachsam und mißtrauisch sein, trotz der Dinge, die sie voraussah, wenn sie ihn lange anblickte. Bei ihr zu sein war Balsam auf seine Wunden gewesen.
Und dann versuchte sie, mich zu töten! Seiner Flöte entwichen einige schrille Mißtöne, doch schnell fand er die rechte Melodie und Sanftheit des Ausdrucks wieder. Nicht sie. Ein Schattenwesen mit ihrem Gesicht. Von allen würde Min mich am wenigsten verletzen. Er verstand selbst nicht, wieso er das glaubte, aber er war sicher, daß es stimmte.
So viele Gesichter in seinen Träumen. Auch Selene war gekommen, kühl und geheimnisvoll und so wunderschön, daß sein Mund austrocknete, wenn er nur an sie dachte. Sie bot ihm Ruhm, wie schon einmal vor langer, langer Zeit, aber nun hatte der Ruhm mit einem Schwert zu tun, das er besitzen mußte, wie sie sagte. Und sie werde mit dem Schwert zu ihm kommen. Callandor. Das war immer in seinen Träumen. Immer. Und diese verwunschenen Gesichter. Hände, die Egwene und Nynaeve und Elayne in Käfige zwangen, sie mit Netzen fingen, sie verletzten. Warum weinte er mehr um Elayne als um die beiden anderen?
In seinem Kopf drehte sich alles. Der Kopf schmerzte genauso schlimm wie seine Seite, und Schweiß rann ihm über das Gesicht, und er spielte leise ›Rose des Morgens‹ in die Nacht hinein und hatte Angst, einzuschlafen. Er hatte Angst vor den Träumen.
KAPITEL33
Im Gewebe
V om Sattel aus blickte Perrin stirnrunzelnd auf die flache Steinplatte hinunter, die an der Seite der Straße halb unter Unkraut verborgen zu sehen war. Die Straße bestand aus einer dicken, festgefahrenen Lehmschicht, aber Moiraine hatte ihnen vor zwei Tagen gesagt, sie sei früher gepflastert gewesen. Teile des ehemaligen Straßenpflasters traten von Zeit zu Zeit noch an die Oberfläche. Hier nannte man sie die Lugard-Straße, denn sie befanden sich bereits in der Nähe des Flusses Manetherendrelle und an der Grenze nach Lugard. Diese alte Steinplatte wies seltsame
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