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Die Rückkehr des friedvollen Kriegers

Die Rückkehr des friedvollen Kriegers

Titel: Die Rückkehr des friedvollen Kriegers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Millman
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ganze Nacht?
    Das rhythmische Rauschen der Wellen ließ mich in einen wohligen Zustand der Mattigkeit hinüberdämmern. Ich lag auf dem Rücken und blickte zu den Sternbildern Orion, Skorpion und Schütze empor. Während ich meine Blicke von einem Stern zum anderen wandern ließ, trieben meine Gedanken in der Strömung dahin und warteten, ich weiß nicht, worauf – vielleicht auf Anweisungen von einem Raumschiff.
     
    Irgendwann muß ich wohl eingeschlafen sein; denn plötzlich schreckte ich hoch und saß rittlings auf meinem Surfbrett, das auf den Wellen hin und her schaukelte. Ich hatte gar nicht gemerkt, daß ich eingenickt war. Ich fragte mich, ob einem wohl so zumute war, wenn man plötzlich eine Erleuchtung hatte.
    Ich sah mich um und versuchte in der Dunkelheit die Küste zu erkennen. Da fiel es mir ein: die Strömung! Ruth Johnson hatte etwas davon geschrieben, daß die Strömung heute abend »genau richtig« sein würde. Genau richtig wofür? Ich suchte den Horizont in allen Himmelsrichtungen ab; doch die Wellen und die dichte Wolkendecke verdeckten mir die Sicht. Bis zum Morgengrauen war ich praktisch blind. Ich konnte weder Sterne noch Land erkennen.

    Meine Uhr hatte ich am Strand gelassen. Ich hatte kein Zeitgefühl und völlig die Orientierung verloren. Wie lange war ich auf dem Meer dahingetrieben? Und wohin? Mir wurde klar, daß ich vielleicht direkt aufs offene Meer hinaustrieb! Bei diesem Gedanken lief es mir eiskalt den Rücken hinunter. Panische Angst traf mich wie ein Faustschlag.
    Auf der Bühne meiner Phantasie jagten sich paranoide Vorstellungen: Wenn diese Frau nun eine exzentrische Alte oder vielleicht sogar verrückt war? Womöglich hatte sie eine Rechnung mit Socrates zu begleichen! Hatte sie mich etwa absichtlich in eine Falle gelockt …? Nein! Das kann doch nicht sein! dachte ich. Meine gewohnte Art, die Realität einzuschätzen, war jetzt nicht sehr hilfreich.
    Kaum hatte ich die erste Welle der Angst erfolgreich abgewehrt, wälzte sich auch schon die nächste auf mich zu. In Gedanken versenkte ich mich unter die Meeresoberfläche. Ich stellte mir große, dunkle Gestalten vor, die unter mir schwammen, und es schauderte mich. Ich fühlte mich klein und allein, ein winziger Fleck, der auf dem Ozean dahintrieb, Tausende von Metern über dem Meeresgrund.
    Stunden vergingen – zumindest kam es mir so vor. Regungslos lag ich auf meinem Surfbrett und lauschte, ob ich nicht das Brummen eines Motorboots von der Küstenwache hörte, und suchte den Himmel nach einem Rettungshubschrauber ab. Aber es wußte ja niemand, wo ich war – niemand außer Ruth Johnson.
    Da schoben sich dicke Wolken vor den Mond und die Sterne. Es wurde so dunkel, daß ich nicht einmal mehr merkte, ob meine Augen offen oder geschlossen waren. Ich dämmerte am Rande des Schlafes dahin und bemühte mich immer wieder krampfhaft, mich wachzuhalten; ich hatte Angst einzuschlafen. Doch das sanfte Rauschen der Meereswogen besiegte meinen Widerstand und wiegte mich in den Schlaf. Allmählich tauchte ich in die Stille hinab wie ein Stein, der in die Tiefen des Meeres hinuntersinkt.
     
    Beim ersten Schimmer des Morgengrauens erwachte ich, und mir fiel wieder ein, wo ich war. Hastig setzte ich mich auf – und fiel von
meinem Surfbrett. Prustend und Salzwasser spuckend kletterte ich wieder aufs Brett zurück und sah mich um – zuerst hoffnungsvoll, dann mit wachsender Besorgnis. Ich sah nichts als Meer; die Wolken verdeckten immer noch jeden Blick aufs Land. Vielleicht war ich weit draußen auf dem Pazifik! Ich hatte schon von starken Strömungen gehört, die einen direkt aufs Meer hinaustreiben können. Natürlich konnte ich paddeln – aber in welche Richtung? Ich kämpfte gegen die panische Angst an, die in mir aufstieg, und zwang mich, tief durchzuatmen und mich zu beruhigen.
    Dann dämmerte eine noch viel beängstigendere Erkenntnis in mir auf. Ich hatte kein Hemd bei mir, kein Sonnenschutzmittel, nichts zu essen und nichts zu trinken. Da kam mir zum erstenmal der Gedanke, daß ich hier draußen tatsächlich sterben könnte – daß das nicht nur ein ganz normales kleines Abenteuer war. Vielleicht hatte ich einen großen Fehler gemacht.
    Ruth Johnson hatte geschrieben, es komme auf »Glauben und Vertrauen« an. »Ja«, murmelte ich vor mich hin, »Glauben, Vertrauen und blinde Idiotie.« Mich mußte wirklich der Teufel geritten haben! Wer paddelt schon nachts mit einem Surfbrett aufs Meer hinaus und läßt sich von

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