Die Rückkehr des friedvollen Kriegers
der Strömung davontreiben, nur weil eine alte Frau ihm eine Nachricht auf ein Stück Papier gekritzelt hat?
»Es darf einfach nicht sein«, sagte ich und erschrak über den Klang meiner eigenen Stimme. Sie klang wie erstickt – gedämpft durch den unermeßlichen Raum über mir und unter mir. Schon spürte ich die Hitze der Morgensonne auf meinem Rücken.
Allmählich verschwanden die Wolken und wichen einem azurblauen Himmel und sengender Sonne. Ich hatte jede Menge Zeit, über meine Situation nachzudenken – aber sonst nichts. Abgesehen von dem gelegentlichen Ruf eines Albatros oder dem leisen Brummen eines Flugzeugs weit oben am Himmel war die Stille mein einziger Begleiter.
Ab und zu planschte ich mit einem Fuß im salzigen Wasser herum oder summte eine Melodie vor mich hin, um meine Ohren zu beruhigen. Doch bald erstarben mir die Melodien auf den Lippen. Langsam kroch mir eisige Panik die Wirbelsäule hoch.
Der Tag schleppte sich dahin. Allmählich bekam ich Durst. Je unbarmherziger die Sonne auf mich niederbrannte, um so mehr bekam ich es mit der Angst zu tun. Es war nicht der plötzliche Schrecken, den man empfindet, wenn einem jemand einen Revolver zwischen die Rippen drückt oder einem plötzlich ein Auto entgegenkommt – nur das ruhige Wissen um die unausweichliche Tatsache, daß ich hier draußen auf dem kühlen grünen Meer verschmachten würde, wenn mich nicht bald jemand rettete.
Die Stunden vergingen mit quälender Langsamkeit. Allmählich färbte sich meine Haut rosa. Am Spätnachmittag war ich nur noch von einem Gedanken besessen: Ich hatte Durst!
Ich tat alles, was mir einfiel, um mich vor der Sonne zu schützen: Ich paddelte mit meinem Surfbrett auf dem Meer herum, um wenigstens nicht immer aus der gleichen Richtung der Sonne ausgesetzt zu sein; oft glitt ich auch ins kühlende Wasser und erfrischte mich im Schatten meines Surfbretts, hielt sein gesprungenes Holz aber immer fest umklammert. Das Wasser war mein einziger Schutz vor der Sonne. Schließlich trug es mich ins gesegnete Dunkel der Nacht hinein.
Die ganze Nacht hindurch brannte mein Körper im Fieber und erschauerte im Schüttelfrost. Schon die kleinste Bewegung tat mir weh. Fröstelnd umschlang ich die Schultern mit meinen Armen. Ich begann mir bittere Vorwürfe zu machen. Weshalb war ich nur so dumm gewesen? Wie konnte ich dieser alten Frau trauen, und warum hatte sie mir das angetan? War sie grausam, oder hatte sie sich einfach nur geirrt? Egal – das Ergebnis war dasselbe: Ich mußte sterben, ohne jemals zu erfahren, warum. Warum? fragte ich mich immer wieder.
Allmählich umnebelten sich meine Gedanken.
Als der Morgen kam, lag ich regungslos da, mit Hitzebläschen auf der Haut und aufgesprungenen Lippen. Ich glaube, an diesem Morgen wäre ich gestorben, wenn nicht ein Geschenk des Himmels mich davor bewahrt hätte: Im Morgengrauen zogen dunkle Wolken auf, und ein heftiger Regensturm peitschte das Meer. So genoß ich ein paar Stunden Schatten und erwachte wieder zu neuem Leben. Die
Regentropfen mischten sich mit den Tränen der Dankbarkeit, die auf meinem blasenübersäten Gesicht brannten.
Ich hatte nichts, womit ich das Wasser auffangen konnte – außer meinem offenen Mund. Mit weit geöffneten Lippen lehnte ich mich zurück und versuchte jeden Tropfen zu erwischen, bis ich einen Muskelkrampf bekam. Ich zog meine Badehose aus, damit sie möglichst viel von dem Regenwasser aufsaugen konnte.
Doch nur allzubald kam die sengende Sonne wieder zum Vorschein und stieg am klaren blauen Himmel empor, als hätte es nie einen Sturm gegeben. Meine Lippen sprangen noch mehr auf und bekamen tiefe Risse. Ich war von allen Seiten von Wasser umgeben – und trotzdem mußte ich verdursten!
Mahatma Gandhi hatte einmal gesagt: »Einem Verhungernden kann Gott nur in Form von Brot erscheinen.« Jetzt war das Wasser mein Gott, meine Göttin, mein einziger Gedanke und meine einzige Leidenschaft – nicht mehr die Erleuchtung, nicht mehr die Erkenntnis. Die hätte ich alle beide sofort und mit Freuden gegen ein Glas reines, kühles, durststillendes Wasser eingetauscht.
Den größten Teil des Vormittags blieb ich im Wasser und hielt mich an meinem Surfbrett fest. Aber das half auch nicht gegen meinen entsetzlichen Durst. Später, am Nachmittag, hatte ich das Gefühl, in meiner Nähe die Rückenflosse eines Hais kreisen zu sehen, und kletterte rasch wieder auf mein Brett. Doch als meine Haut allmählich immer mehr Blasen bekam und
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