Mein Geheimnis bist du
1.
F assungslos hörte Andrea die Worte ihres Chefs, mit denen er die Absage endgültig machte. »Sehen Sie das nicht als Herabsetzung Ihrer Leistungen an, Frau Lange. Sie sind eine hervorragende Analytikerin. Als ich Sie vor zwei Jahren zur Abteilungsleiterin von Mahnung und Bestand machte, ahnte ich nicht, wie gut Sie sind. Ich beglückwünsche mich heute noch zu meiner Entscheidung.« Thomas Brennicke, Direktor der Holstenbeck Bank, beugte sich in seinem Stuhl vor, stützte die Arme auf den Schreibtisch, blickte seine Mitarbeiterin aufmunternd an.
»Aber?«, fragte Andrea und wusste eigentlich nicht, ob sie wirklich hören wollte, was zu Brennickes Entscheidung gegen sie geführt hatte.
Der hob bedauernd die Hände, ließ sich wieder in die Rückenlehne seines Sessels fallen. »Die Stelle als stellvertretende Geschäftsführerin ist eine Nummer zu groß für Sie. Noch. Ich habe keinen Zweifel, dass Sie in ein paar Jahren diesen Platz einnehmen können. Im Moment fehlt es Ihnen jedoch an Erfahrungen. Sie sind gerade erst dreißig. Gedulden Sie sich noch etwas.« Er lächelte. »Sie haben doch Zeit.«
Das sah Andrea ganz anders. Sie kämpfte mit ihrer Enttäuschung.
Es hatte doch so gut ausgesehen. Weller, Leiter der Kreditabteilung und Spitzenkandidat für den Posten, war schon sechzig. Mehrmals deutete er an, dass er die Jahre bis zur Rente in Ruhe abarbeiten wollte. Graf, Chefbuchhalter und Controller, zwar mit Ambitionen auf den Posten des Stellvertreters, aber mit der Ausstrahlung einer Schlaftablette, brachte nicht im Ansatz die Fähigkeit für Kundenakquise mit. Wenn überhaupt, dann wäre Täufler vom Investment ein Konkurrent gewesen. Er war ein As, was das Erkennen von Markttendenzen betraf. Aber ihm fehlte das Hochschulstudium. Deshalb war sich Andrea ihrer Sache ja so sicher gewesen.
Wer ist dieser unselige Mensch, der mir den Job wegnimmt?
Andrea presste die Lippen fest aufeinander, damit ihr die Frage nicht entschlüpfte. Nicht so. Nicht mit der Verbitterung einer Verliererin im Unterton.
Sie riss sich zusammen. »Darf ich fragen, an wen die Stelle vergeben wird?«, erkundigte sie sich so gefasst wie möglich.
»Natürlich. Die neue Kollegin kommt aus Hamburg«, gab Brennicke bereitwillig Auskunft. »Dort leitete sie bis vor kurzem die Investmentabteilung der Sparbank. Mareike Holländer. Schon mal von ihr gehört?«
Der Name sagte Andrea absolut nichts. Sie schüttelte den Kopf. Und war nun noch enttäuschter. Eine Frau? Sie hatte fest damit gerechnet, dass, da sie die Stelle nicht bekam, ein Mann das Rennen machte. Immerhin hätte sie sich dann wenigstens als Diskriminierungsopfer betrachten können und sich nicht ganz so schlecht gefühlt. Nicht einmal das blieb ihr. Irgendeine Frau von extern machte ihr einfach einen Strich durch die Rechnung.
»Ihrem Ruf nach ist Frau Holländer eine hervorragende Strategin bei Verhandlungen«, unterbrach Brennicke Andreas Gedanken. »Ich habe sie erst einmal erlebt, kann von diesem einen Mal aber nur Gutes sagen. Frau Holländer fängt in zwei Wochen bei uns an. Lernen Sie von ihr. Das kann Ihrer Entwicklung nur nützlich sein.«
Lernen? Das wird ja immer schöner. Andrea verkniff sich eine bissige Bemerkung. Später allerdings, beim Mittag in der Kantine, machte sie ihrem Ärger Luft. Ihre Freundin Saskia bekam die geballte Ladung Frust ab.
»Ist das zu fassen? Von ihr lernen. Ihr am besten noch in den Arsch kriechen, oder was?«, entrüstete sich Andrea und vergaß dabei völlig, dass ihre Wortwahl der Position, um die sie sich da beworben hatte, wenig angemessen war.
Saskia verstand zwar Andreas Enttäuschung, doch nicht deren übertriebene Aufregung. »Hey, Silvester ist vorbei. Kein Grund, hochzugehen wie eine Rakete. Ich verstehe, dass Brennickes Entscheidung dir nicht gefällt, aber die Frau kann nichts dafür. Und falls du planst, einen Krieg mit ihr anzuzetteln – lass es. Damit schneidest du dir nur ins eigene Fleisch.«
»Ich kann sie nicht leiden«, erwiderte Andrea bissig.
»Du kennst sie doch gar nicht.«
»Hervorragende Strategin. Ha!«, fuhr Andrea unbeirrt fort. »Das heißt, sie ist eine zugeknöpfte, eingebildete Pute. Kalt wie ein Fisch.«
»Andrea! Reg dich ab!«
»Ich kann nicht!«
»Die ganze Aufregung bringt doch aber gar nichts.«
»Ich weiß.« Wütend spießte Andrea den letzten Kartoffelpuffer auf ihre Gabel. »Verdammt. Ich war mir so sicher, dass ich den Job bekomme. Ich dachte, es wäre nur noch eine
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