Die Rückkehr des Poeten
knurrte Rachel. »Wann ist er zum ersten Mal in Clear aufgetaucht?«
»Schwer zu sagen. Vor drei oder vier Jahren.«
»Warum kam er hierher?«
Rett schüttelte den Kopf.
»Da bin ich überfragt. Warum gehen Leute nach New York? Jeder hat seine Gründe. Und er hat mir seinen speziellen Grund nicht mitgeteilt.«
»Wie kam es dazu, dass er als Fahrer für Sie zu arbeiten begann?«
»Er war mal zum Billardspielen hier, und da hab ich ihn gefragt, ob er Arbeit brauchen könnte. Er sagte, er hätte nichts dagegen, und dann ergab eins das andere. Es war kein Vollzeitjob. Nur, wenn wir einen Anruf bekamen, dass sich jemand fahren lassen wollte. Die meisten fahren selbst her.«
»Und damals, vor drei oder vier Jahren, hat er Ihnen gesagt, er heißt Tom Walling?«
»Nein, das hat er mir gesagt, als er den Wohnwagen von mir gemietet hat. Das war erst später.«
»Und wie war das vor einem Monat genau? Sie sagen, er hätte seine Miete gezahlt und wäre dann weggefahren?«
»Ja, er sagte, er würde wieder zurückkommen, und wollte den Wohnwagen behalten. Er hat bis Ende August bezahlt. Aber er ging auf Reisen, und seitdem habe ich nichts mehr von ihm gehört.«
Im Freien ertönte ein Alarm. Der Mercedes. Rachel wandte sich Bosch zu, aber er war bereits auf dem Weg zur Tür.
»Darum kümmere ich mich«, sagte er.
Er verschwand nach draußen und ließ Rachel mit Rett allein. Sie wandte sich wieder dem Kneipenbesitzer zu.
»Hat Ihnen Tom Walling mal erzählt, woher er kam?«
»Nein, das hat er mir nie gesagt. Er hat überhaupt nicht viel geredet.«
»Und Sie haben ihn auch nie gefragt.«
»Schätzchen, an einem Ort wie dem hier stellt man keine Fragen. Die Leute, die hierher kommen, die beantworten nicht gern Fragen. Tom, er fuhr gern die Kunden und verdiente sich auf diese Weise ein bisschen Geld, und ab und zu kam er hier rein und spielte Billard. Hat nie was getrunken, nur Kaugummi gekaut. Hat nie die Huren blöd angemacht und immer pünktlich seine Kunden abgeholt. Mir war das alles nur recht. Der Kerl, der jetzt für mich fährt, ist immer …«
»Der Kerl, den Sie jetzt haben, interessiert mich nicht.«
Hinter ihr ertönte die Glocke, und als sie sich umdrehte, sah sie Bosch hereinkommen. Er nickte ihr zum Zeichen, dass alles in Ordnung war, kurz zu.
»Sie haben versucht, die Tür zu öffnen. Die Kindersicherung funktioniert anscheinend nicht.«
Rachel Walling nickte und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder Rett zu, dem stolzen Bürgermeister einer Bordellstadt.
»Mr. Rett«, sagte sie, »wo ist Tom Wallings Wohnwagen?«
»Seiner ist der schmale auf der Kuppe westlich von hier.«
Als Rett lächelte, kam unten ein abgestorbener Zahn zum Vorschein.
»Er war gern dort draußen. Meinte, bei dem ganzen Trubel hier wäre er lieber etwas ab vom Schuss. Deshalb habe ich ihn da draußen hinter dem Titanic Rock untergebracht.«
»Hinter dem Titanic Rock?«
»Sie werden schon sehen, wenn Sie hinkommen – falls Sie den Film gesehen haben. Einer von diesen klugscheißerischen Kletterfritzen, die hier rauskommen, hat den Namen sogar draufgeschrieben. Er ist nicht zu übersehen. Nehmen Sie einfach die Straße von hier nach Westen, dann können Sie ihn nicht verfehlen. Halten Sie einfach nach dem sinkenden Schiff Ausschau.«
33
I
ch war mit den zwei Frauen draußen im Mercedes und ließ die Klimaanlage laufen, um sie abzukühlen. Rachel war noch drinnen und telefonierte mit Cherie Dei, um das Eintreffen der Verstärkung zu koordinieren. Ich vermutete, in Kürze würden Agenten in Hubschraubern vom Himmel fallen und geballt über Clear, Nevada, hereinbrechen. Die Spur war frisch. Sie waren ganz dicht dran.
Ich versuchte mit den Mädchen zu reden – sie als Frauen zu betrachten fiel mir schwer, trotz ihres Berufs und obwohl sie alt genug waren. Wahrscheinlich wussten sie alles, was es über Männer zu wissen gab, aber über die Welt schienen sie nichts zu wissen. In meinen Augen waren sie einfach Mädchen, die auf die schiefe Bahn geraten oder entführt und davon abgehalten worden waren, Frauen zu werden. Ich begann zu verstehen, was Rachel gemeint hatte.
»Ist Tom Walling mal in den Wohnwagen gekommen und hat sich eins der Mädchen genommen?«, fragte ich.
»Nicht, dass ich wüsste«, sagte Tammy.
»Jemand hat gesagt, er wäre vermutlich schwul oder so«, fügte Mecca hinzu.
»Wieso das?«
»Weil er wie ein Einsiedler lebte oder so«, antwortete Mecca. »Und er wollte nie mal ’ne Nummer mit einem der
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