Die Rückkehr des Sherlock Holmes
auf und nieder. Dann schrieb er ein langes Telegramm auf ein Depeschenformular. »Falls ich die erhoffte Antwort erhalte, werden Sie Ihrer Sammlung einen sehr hübschen Fall hinzufügen können, Watson«, sagte er. »Ich denke, daß wir morgen nach Norfolk fahren und unserem Freund einige sehr bestimmte Neuigkeiten über den geheimen Hintergrund seiner Belästigung liefern können.«
Ich muß gestehen, daß ich von Neugier erfüllt war; doch war mir bewußt, daß Holmes seine Enthüllungen zu seiner Zeit und auf seine Art zu machen pflegte, und ich wartete daher ab, bis es ihm paßte, mich ins Vertrauen zu ziehen.
Aber das Antworttelegramm verzögerte sich, und es folgten zwei Tage ungeduldigen Wartens, in denen Holmes bei jedem Läuten der Torglocke die Ohren spitzte. Am Abend des zweiten Tages traf ein Brief von Hilton Cubitt ein. Bei ihm sei alles ruhig, von einer langen Inschrift abgesehen, die am Morgen auf dem Sockel der Sonnenuhr gelegen habe. Er hatte eine Abschrift davon beigelegt, die ich hier wiedergebe:
Holmes beugte sich einige Minuten lang über diesen grotesken Fries, dann sprang er plötzlich mit einem Ausruf der Überraschung und Bestürzung auf. Sein Gesicht machte einen besorgten und abgespannten Eindruck.
»Wir haben diese Sache lange genug treiben lassen«, sagte er. »Geht heute abend noch ein Zug nach North Walsham?«
Ich schlug den Fahrplan auf. Der letzte war gerade abgefahren.
»Dann werden wir früh frühstücken und den ersten Morgenzug nehmen«, sagte Holmes. »Wir werden dort dringendst gebraucht. Ah ja, da kommt unser Telegramm. Einen Augenblick, Mrs. Hudson – vielleicht muß ich antworten. Nein, genau wie ich’s mir gedacht habe. Diese Nachricht zeigt noch eindringlicher, daß wir keine Stunde mehr verlieren dürfen, um Hilton Cubitt vom Stand der Dinge zu berichten. Unser schlichter Gutsherr aus Norfolk ist nämlich in ein ungewöhnliches und gefährliches Netz geraten.«
So stellte es sich in der Tat heraus. Und indem ich nun zum Schluß einer finstren Geschichte komme, die mir bis dahin lediglich kindisch und bizarr erschienen war, durchlebe ich noch einmal das Grauen und Entsetzen, welches mich damals erfüllte. Ich wünschte, ich hätte meinen Lesern ein erfreulicheres Ende mitzuteilen; doch ist dies hier die Chronik tatsächlicher Begebenheiten, und deren tragischer Zuspitzung muß ich nun die seltsame Kette von Ereignissen folgen lassen, die Ridling Thorpe Manor in ganz England zum Tagesgespräch machten.
Wir hatten den Zug in North Walsham kaum verlassen und unseren Bestimmungsort erwähnt, als auch schon der Bahnhofsvorsteher auf uns zueilte. »Sie sind vermutlich die Detektive aus London?« fragte er.
Ein verärgerter Ausdruck huschte über Holmes’ Gesicht.
»Wie kommen Sie darauf?«
»Weil hier eben schon Inspektor Martin aus Norwich durchgekommen ist. Aber vielleicht sind Sie ja auch die Ärzte. Sie ist nicht tot – jedenfalls noch nicht, nach dem, was man hört. Vielleicht kommen Sie noch rechtzeitig, sie zu retten – wenn auch nur für den Galgen.«
Holmes’ Stirn verfinsterte sich vor Besorgnis.
»Wir sind zwar auf dem Weg nach Ridling Thorpe Manor«, sagte er, »aber wir haben keine Ahnung, was dort vorgefallen ist.«
»Eine furchtbare Sache«, sagte der Bahnhofsvorsteher. »Mr. Hilton Cubitt und seine Frau – beide erschossen. Sie hat erst ihn und dann sich selbst erschossen, sagen die Dienstboten. Er ist tot, und ihr gibt man auch keine Überlebenschance. Ach herrje! Eine der ältesten Familien in der Grafschaft Norfolk, und eine der ehrbarsten dazu.«
Ohne ein Wort zu verlieren, eilte Holmes zu einer Kutsche, und während der langen Fahrt über sieben Meilen machte er nicht ein einziges Mal den Mund auf. Selten habe ich ihn so furchtbar bedrückt gesehen. Unruhig war er schon auf der ganzen Fahrt von London her gewesen, und ich hatte beobachtet, wie er mit gespannter Sorge die Morgenzeitungen durchgeblättert hatte; aber diese jähe Verwirklichung seiner schlimmsten Befürchtungen hatte ihn in öde Melancholie gestürzt. In düstere Gedanken verloren lehnte er in seinem Sitz. Dabei umgab uns so vieles Beachtenswerte, indem wir eine geradezu einmalige englische Landschaft durchfuhren, in der einige wenige verstreute Hütten von der Lage der heutigen Bevölkerung kündeten, während gleichzeitig überall mächtige viereckige Kirchtürme aus dem flachen grünen Land stachen und vom Ruhm und Wohlstand des alten Ostanglien erzählten. Endlich
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